Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Freitag, 3. Dezember 2010

Randständig

Der Rand zwischen Sein und Nichtsein.
Der erste Schnee ist für die Tiere und Pflanzen im Garten eine Naturkatastrophe. Schnee ist kalt und er verdunkelt, was unter ihm begraben wird. Ein Alptraum für die meisten Lebewesen. Dennoch gibt es einen Schimmer Hoffnung. Es ist der Rand. Jede Katastrophe hat einen Rand, eine Zone, in der die Auswirkungen nicht so schlimm sind. Dort kann sich das Leben immer noch entfalten, dort muss es nicht darben.
Der Rand in meinem Garten ist nicht schön rund, wie etwa der eines Tellers. Vielmehr ist er verschlungen, taucht auf und wieder ab. Ich finde ihn beispielsweise an der Hauswand. Sie ist durch den Dachvorsprung geschützt und darum fällt dort niemals Schnee. Im Sommer ist der Ort zwar etwas trocken, doch jetzt im Winter zeigt sich sein Vorteil. Die Pflanzen bleiben schneefrei und können noch in bescheidenem Mass Photosynthese betreiben.
Das Frühbeet bietet dieser jungen
Königskerze Schutz. Die Karotten
müssen leiden.
Ganz viele kleine Ränder gibt es um und in Bäumen. Das Moss auf der Unterseite von Ästen etwa ist vom Schnee geschützt. Auch es kommt dank diesem Rand selbst im Winter in den Genuss der Sonne. Das gleiche bei der Holzbeige. Ihre senkrechte Stirnseite erlaubt es den Schneeflocken nicht, sich festzusetzen. Nun zahlt es sich für die Erdbeere aus, dass sie sich während des Sommers auf ein karges Leben zwischen zwei Holzscheiten eingestellt hat. Ihre Kolleginnen liegen jetzt unter knöcheltiefem Schnee begraben und sie geniesst ihren Platz am Licht – am Rande der Naturkatastrophe.

Mittwoch, 24. November 2010

Da ist der Wurm drin

Pro 25 x 25 Zentimeter 6 Würmer.
Letztes Wochenende habe ich eine Volkszählung in meinem Garten durchgeführt. Mit dem Spaten hob ich aus dem Rasen ein quadratisches Stück von 25 Zentimeter Länge aus und 20 Zentimeter Tiefe. Den Erdblock schaufelte ich in einen Kübel und begann daraufhin systematisch zu suchen. Nach Würmern. Seit Jahren höre ich nun schon die Geschichte von den Würmern, die zu Hunderten und Tausenden unter unseren Füssen leben, ohne dass wir davon etwas mitbekommen. Aber wie viele sind es tatsächlich? Fünf pro Quadratmeter? Zwanzig? Zweitausend?
Der Pfad zur Erleuchtung lautet in diesem Fall Spaten und Kübel. Zunächst fand ich in der leicht sandigen Erde gar nichts. Nur ein kleines Würmchen zeigte sich. Sollten das die vielbesungenen Heerscharen sein? Als ich mit dem wenig ergiebigen losen Erdreich fertig war, nahm ich mir die Wurzelschicht vor. Die ist etwa fünf Zentimeter dick. Vorsichtig schabte ich das Gemenge aus Graswurzeln und Erde Lage für Lage ab wie einen Raclettekäse. Als ich bis zum Gras durch war, hatte ich fünf zusätzliche Würmer beisammen. Das macht also sechs Stück für meinen Erdquader. Hochgerechnet auf einen Quadratmeter gibt das 96 Würmer. Immerhin.
Allerdings sieht es noch viel eindrücklicher aus, wenn man es auf meinen ganzen Garten hochrechnet. Bei 1400 Quadratmeter gibt das 134 000 Würmer.
Das ist Ed. Wurm 17 528 meines Gartens. Er
wohnt im Komposthaufen.

Donnerstag, 18. November 2010

Schlafende Flut

Der Rücken einer Spanischen Wegschnecke. Wo aber
ist ihr Kopf? Links oder rechts? Die Auflösung
steht unten*.
Wenn sich die Umwelt nur ganz langsam verändert, dann nimmt man oft gar nicht wahr, dass etwas anders geworden ist. Doch als ich neulich bei kaltem Regenwetter durch den Garten stapfte, fiel es mir auf. Sie waren weg. Alle, einfach restlos alle. Die Nacktschnecken haben sich in Luft aufgelöst. Wie kann das sein?
Vor wenigen Monaten noch waren sie so zahlreich, dass sie es sogar in die leserstärkste Zeitung der Schweiz schafften. Sie waren unübersehbar, allgegenwärtig. Meine Grossmutter war ab ihrer Flut so verzweifelt, dass sie einen ganzen Kübel von ihnen einsammelte und den Enten am See vorsetzte. Auf das Wohlergehen unseres Kopfsalates hatte die Aktion allerdings wenig Wirkung. Unter den verbleibenden Raspelzungen schmolzen ihre Köpfe dahin, wie Kugeln aus Pistazieneis in der Sonne.
Jetzt ist der ganze Spuk vorbei. Die Ursache dafür ist schnell gefunden. Die Spanische Wegschnecke – die Hauptvertreterin unter den Nacktschnecken in unseren Gärten – stirbt im Herbst. Ihr ganzes Leben und Lieben vollzieht sich in einer einzigen Saison. Apropos lieben. Wegen ihm werde ich wohl die Schnecken im nächsten Jahr alle wiedersehen. Denn bevor die erwachsenen Tiere dahinscheiden, paaren sie sich und legen ihre Eier in Ritzen im Boden, unter Steine und in den Komposthaufen. Bis zu 400 Stück pro Schnecke. Und da sie alle sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsteile besitzen, legt jede von ihnen Eier. Es ist kaum vorstellbar, was da im Frühling aus dem Boden zu kriechen trachtet. Eine Super-Schneckenflut.
Ich bereite mich schon mal mit der richtigen Lektüre vor. Da schreibt zum Beispiel eine Beamtin des dänischen Umweltministeriums in einem Faktenblatt: «Sammeln und töten ist die effizienteste Art, um die Spanische Wegschnecke in Schrebergärten loszuwerden.» Na dann viel Spass.


*rechts

Freitag, 12. November 2010

Pflanzen-AIDS

Von der Unterseite der Himbeerblätter regnet es
schwarze Pilzsporen. Sie gehören zum Himbeerrost,
einem Pilz, der sich von den Blättern ernährt.
Eine Pflanze könnte theoretisch ewig leben, denn sie besitzt eine besondere Art von Zellen, die Stammzellen. Diese altern nicht und produzieren in nie endender Folge Blätter, Blüten, Äste und Wurzeln. Und trotzdem bleibt ihr das ewige Leben verwehrt. Denn sie hat mächtige Gegenspieler, die nur eines im Sinn haben: sie zu fressen. Wir kennen sie alle unter dem harmlosen Begriff «Pilze». Doch diese Lebewesen, die weder zu den Pflanzen noch zu den Tieren gehören, sind mörderische Zeitgenossen.
Sie besitzen einen unersättlichen Appetit auf Zellulose, der Grundbaustoff, aus dem alle Pflanzen bestehen. Zellulose ist aus Zucker aufgebaut und genau hinter dem sind die Pilze her. Für sie ist eine Tanne oder ein Himbeerstrauch nichts weiter als ein grosser Kraftriegel. Die meisten Pflanzen haben kein Problem mit dieser Tatsache, weil sie eine breite Palette von Verteidigungen entwickelt haben. Dazu gehört zum Beispiel das Harz, das wie ein Fungizid wirkt, oder eine dicke Rinde, welche die Pilze daran hindert, einzudringen. Sind Eibe und Holunder also doch unsterblich? Nein.
Eine kürzlich publizierte Studie* aus England zeigt, dass die Mühe mit den Abwehrmechanismen umsonst ist. Die Forscher fanden heraus, dass die meisten gesunden Bäume bereits mit einer Vielzahl von tödlichen Pilzen infiziert sind. Diese richten keinen Schaden an, solange der Baum gesund bleibt. Doch das ändert sich schlagartig, sobald er einen Ast verliert, sich verletzt oder an Wassermangel leidet. Dann schlagen die Pilze in seinem Innern zu. Dieser an AIDS erinnernde Krankheitsverlauf stellt die Forschung vor ein Rätsel. Denn bislang dachte man, die Pilze würden erst dann in einen Baum eindringen, wenn er bereits alt und schwach ist. Wie es die Pilze schaffen, die Verteidigung gesunder Bäume zu überwinden, weiss heute noch niemand. Und so schlummert vielleicht schon in vielen Pflanzen meines Gartens der Tod und wartet nur darauf, dass er dem vermeintlich ewigen Leben ein Ende setzen kann.

*Parfitt D, et al., Do all trees carry the seeds of their own destruction? PCR reveals numerous wood decay fungi latently present in sapwood of a wide range of angiosperm trees, Fungal Ecology (2010)

Sonntag, 7. November 2010

Vom Winde verweht

Eine geflügelte Blattlaus wartet darauf, bis sie der
Wind wieder mit sich trägt.
Plötzlich sind sie da. Sie erscheinen auf Fensterscheiben, Hemden und Kinderwagen. Blattläuse sind sehr schlechte Flieger und die meiste Zeit in der Luft verbringen sie damit, sich vom Wind von einem Landeplatz zum nächsten klatschen zu lassen. So kommt es, dass sie wie Geister auftauchen, ganz anders als etwa eine Wespe, eine Biene oder eine Fliege, deren weit entwickelte Antriebssysteme einen Höllenkrach machen und es ihren Besitzern erlauben, es sich noch dreimal zu überlegen, ob sie nun überhaupt landen sollen oder nicht. Bei den Blattläusen entscheidet die Wucht des Windes über den Landeanflug.
Ihr Problem ist, dass sie im Grunde gar nicht in die Luft gehören. Ihr Platz ist der Grashalm oder das Rosenblatt, wo sie der Pflanze ihren Saft stiehlt. Dazu benötigt sie zwei Dinge: Beine, um sich festzuhalten, und einen Rüssel, um zu saugen. Flügel sind vollkommen überflüssig. Es sei denn, das Jahr geht zu Ende und man muss mal dringend sein Winterquartier aufsuchen. Dann sind Flügel sehr hilfreich. Für diesen Fall hat ihnen die Natur Flügel-Gene geschenkt, die sie bei Bedarf aktivieren können. Ihrem Nachwuchs entspringen dann zwei Paar billige Schwingen auf den Rücken. Sie sehen aus, als ob sie aus Frischhaltefolie ausgeschnitten worden wären und sind gerade stabil genug, um die Blattlaus in die Luft zu kriegen. Mehr aber auch nicht. Wen wundert es da, dass die kleinen Insekten lausige Piloten sind. Ich würde sogar sagen, sie sind sogar ziemlich blattlausige Piloten. Da darf man keine fliegerischen Meisterleistungen erwarten, wie sie beispielsweise die Stubenfliege vollbringt. Nein, einmal in der Luft ist die Blattlaus den Elementen ausgesetzt. Geht der Wind nach links, geht auch sie nach links. Geht er nach rechts, geht sie nach rechts. Streift der Wind den Kinderwagen, landet die Blattlaus auf dem Kinderwagen. Streift der Wind ein zweites Mal, ist die Blattlaus weg.

Donnerstag, 4. November 2010

Ein Hotel mit tausend Etagen

Ein Feuersalamander verkriecht sich
eben im Asthaufen.
Wenn Biologen beschreiben müssen, wo Tiere und Pflanzen leben, erzählen sie nicht von Alpenwiesen, die in den sternklaren Nächten vor Kälte erstarren, oder von einem Wald, der mit Moos überwachsen ist und nach frischen Pilzen duftet. Statt dessen begnügen sie sich mit dem etwas kargen Begriff «Lebensraum». Je nach Tierart fügen sie ihm noch etwas Anschaulichkeit hinzu, indem sie ein Adjektiv vorne hin stellen. Und so blüht das Männertreu im «alpinen Lebensraum» und der Fuchs durchstreift auf der Suche nach Essensresten den «urbanen Lebensraum». Aber wie sieht dieser Raum nun tatsächlich aus, in dem die Tiere Leben?
In meinem Garten gibt es ein gutes Beispiel. Es ist der Asthaufen. Unser Exemplar ist über die Jahrzehnte zu einem ansehnlichen kleinen Hügel angewachsen. Er besteht aus allem, was zu grob für den Kompost ist. Also abgeschnittene Äste, dürre Stängel einjähriger Pflanzen oder Efeu, der von der Hauswand lassen musste. Dieses zuweilen starre und ungleiche Baumaterial fügt sich mit der Zeit zu einem grossen Gebäude zusammen, das aus unzähligen Zimmern und Stockwerken besteht. Ich nenne es das «Salamanderhotel». Tatsächlich lieben sowohl Feuersalamander als auch Blindschleichen den Asthaufen mit seinen unendlichen Möglichkeiten sich zu verkriechen.
Wie viele von ihnen dort ein Zimmer genommen haben, sehe ich jeweils, wenn ich alle paar Jahre einmal den Haufen etwas saniere und umschichte, damit wieder neues Baumaterial auf ihm Platz bekommt. Die Stechgabel braucht nicht lange zu stochern und schon zeigen sich die verärgerten Hotelgäste. Salamander um Salamander purzelt aus den aufgerissenen Zimmern. Dazwischen ducken sich die Blindschleichen vor den herabstürzenden Wänden. Das also meinen die Biologen, wenn sie von «Lebensraum» sprechen – ein Hotel mit tausend Etagen.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Junkies in der Bahnhofstrasse

Nein, Armani ist nicht Teil der Artenvielfalt der
Bahnhofstrasse. Wohl aber die versteinerten Seelilien,
aus denen die Plakette besteht.
Es gibt keinen anderen Ort in der Schweiz, der das Stadtleben so sehr verkörpert wie die Bahnhofstrasse in Zürich. Teure Läden, Banken und Hotels stehen hier in Reih und Glied. Trams fahren im Minutentakt und ganze Blechlawinen von Autos zwängen sich durch die Querstrassen. Und dazwischen ergiessen sich endlose Massen von Menschen. Die Gebäude links und rechst schlucken sie und speien sie wieder aus in nie endender Folge.
So unwahrscheinlich es auch klingen mag, genau in diesem Getümmel liegt eine spannende Natur-Safari verborgen. Da gibt es Efeu, der mit einem Baum um die Vorherschafft kämpft, kleine Algen, die unter der Neonbeleuchtung angesagter Hotels wachsen, und Gräser, die wie Junkies die ganzen Abgase in sich aufsaugen und Dank ihnen wunderbar gedeihen.
Weil das alles nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, habe ich jetzt eine Karte dazu verfasst. Sie führt euch in einer halben Stunde durch die Naturwunder der Bahnhofstrasse. Ihr könnt die Karte entweder unten im Fenster betrachten oder auf www.wildcity.ch klicken und so auf die Grossansicht zugreifen.

Viel Spass auf der Safari!



Wildcity: Wildnis in der Stadt auf einer größeren Karte anzeigen

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Frühling im Herbst

Der Knoblauch schaut neugierig aus der eiskalten Erde.
Was hat der nur hier verloren?
Die Schnecken haben sich in ihre Häuser zurückgezogen, die Blindschleichen haben im Asthaufen mit dem Winterschlaf begonnen und die Vögel sind in den Süden verreist. Aus, Ende und vorbei, das Jahr ist gelaufen, Deckel zu, Kragen hochstellen und die unbarmherzige Zeit, die jetzt kommt, möglichst nicht beachten; sich in sich selbst zurückziehen, gerade so, wie es die Schnecken machen. Schön wär’s. Denn der Garten macht bei dieser Tour nicht mit. Anstatt herunterzufahren und Energie zu sparen, macht er genau das Gegenteil. Er kommt in einen zweiten Frühling.
Und das hier sind – Osterglocken? Irgendwelche
Blumen, die es dem Knoblauch gleich tun.
Die Knoblauchzehen etwa schlagen aus, kaum wurden sie in die Erde gesteckt. Weder Bise noch Frost machen ihnen etwas aus und dass sich die Sonne nur noch mühsam an der unteren Seite des Himmel entlang schleppt, scheint sie nicht zu kümmern. Es ist bewundernswert, dass sich der Knoblauch zu diesem Schritt entscheidet. Denn früher oder später wird der Schnee kommen und den Garten in eine kalte Decke aus Eis hüllen. Aber offenbar ist ihm auch das egal. Er wird ausharren und im nächsten Jahr einfach weiterwachsen, sobald der Schnee wieder weg ist.
Gut, man kann sagen, dass der Knoblauch eine Landwirtschaftspflanze ist und auf dieses Verhalten hingezüchtet wurde. Und trotzdem: einige der anderen Gartenbewohner tun es ihm gleich. Im Blumenbeet schiessen bereits jetzt die ersten Blattspitzen hervor, als wäre es Anfang April. Ich habe keine Ahnung, was das alles soll. Vermutlich entzieht sich das Leben einfach unserer Vorstellung von Ordnung. Auf Sommer folgt Winter, auf Wachstum folgt Schlaft – nein; auf Wachstum folg Wachstum, auf Frühling folgt Frühling.

Sonntag, 24. Oktober 2010

Der weisse Tod

Der Frost nagt an den Blüten der Dahlien.
Jetzt schleicht er wieder um das Haus. Der weisse Tod. Sein erstes Opfer hat er bereits gefunden. Die Dahlien sehen übel zugerichtet aus. Er hat ihre Blätter von innen zermantscht, könnte man sagen. Er ist in jede einzelne ihrer Zellen gekrochen, hat das Wasser in ihnen erstarren lassen und sie auf diese Weise gesprengt. Das Laub hängt jetzt eingefallen von den Stielen und macht einen jämmerlichen Eindruck. Das Dahlienjahr ist vorbei.
Der Frost ist in der Tat ein Killer. Aber er ist kein Massenmörder. Die Dahlien sind bis jetzt die einzigen Opfer und auch das nur zum Teil. Denn dieser erste Frost reicht nur bis in eine Höhe von 50 Zentimetern über Boden. Meine Dahlienstaude wächst über diese Grenze hinaus und kann so im Moment zumindest einige ihrer Blätter und prächtigen Blüten retten.
Weiter oben verliert er seine Kraft.
Oft ist aber die Flucht nach oben gar nicht nötig. Denn den meisten Pflanzen in meinem Garten macht der Frost wenig aus. Der kleine Senf etwa erstrahlt immer noch in sattem Grün. Auch der Lattich steckt das bisschen morgendliches Eis weg wie nichts. Und dann die lange Liste von harten Burschen, die Tag für Tag Sommer und Winter draussen verbringen: die Gräser, der Löwenzahn, der Spitzwegerich, der Kirschlorbeer, der Efeu.
Warum die einen den weissen Tod fürchten müssen und die anderen nicht, ist eines der grossen Rätsel der Pflanzen. An anderer Stelle habe ich bereits gesagt, dass in frosttoleranten Blättern die Zuckerkonzentration höher ist. Der Zucker wirkt wie ein Frostschutzmittel, das verhindert, dass das Wasser in den Zellen gefriert und diese zerstört. Aber offenbar sind noch viele weitere Stoffe an der Schutzfunktion beteiligt wie etwa Aminosäuren, Proteine und Salze. Interessant ist, dass sie alle in einer chemischen Fabrik hergestellt werden, die denselben Durchmesser besitzt wie ein menschliches Haar: die Pflanzenzelle.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Ein Grad mehr Reichtum

Farn auf einer Tessiner Mauer.
Meine Gartenmauer kann es nicht mit ihnen aufnehmen. Sie sind einfach zu reich – die Tessiner Mauern. Unverschämt reich, möchte ich sagen. Aus den sonnenverwöhnten Gemäuern wachsen Dutzende von verschiedenen Pflanzenarten. Kaktusse, Sukkulenten, Farne, Kräuter – ganze botanische Sammlungen spriessen aus den Ritzen zwischen den gepflasterten Steinen. Am Dorfrand von Meride krallt sich sogar eine massige Agave an einer hohen Mauer fest. Und bei meiner Gartenmauer? Da sieht es vergleichsweise trostlos aus. Der Mauerpfeffer ist der einzige Vertreter unter den Sukkulenten. Sein einziger Nachbar ist ein kleiner Wurmfarn, der auf dem nährstoffarmen Untergrund tapfer ein Auskommen sucht. Aber ausser den beiden (und den allgegenwärtigen Flechten und Algen) gibt es da nichts. Dabei hat meine Gartenmauer bereits ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel. Die Pflanzen hätten also genug Zeit gehabt, dort Fuss zu fassen. Welche Pflanzen? Genau das ist der springende Punkt. Meine Mauer ist karg, wegen eines Mangels an Artenvielfalt. Das Tessiner Pendant hingegen ist reich an Arten. Warum das so ist?
Ein Schriftfarn wächst gleich nebenan.
In der Flora Helvetica heisst es zum Standort:
«Mauern und Felsen in warmen Lagen.»
Das Tessin liegt mehr als ein Grad südlicher als Zürich. Die Sonne steht also ein Grad steiler am Himmel und spendet darum während des ganzen Jahres mehr Licht und Wärme. Das hat enorme Auswirkungen auf das Leben. Von allem gibt es mehr. Mehr Farne, mehr Sukkulenten. Vor allem letztere sind ideal an das Leben auf einer kargen Gartenmauer angepasst. Sie benötigen nicht viel zum Wachsen ausser Sonne und ab und zu etwas Wasser. Da ist es also kein Wunder, dass die Tessiner Mauern ergrünen, während die meine in der kalten, artenarmen Nordschweiz grau bleibt.
Und der dritte Farn. Auf meiner Mauer
gibt es nur eine Art.
Warum allerdings die Artenvielfalt mit schrumpfender Distanz zum Äquator zunimmt, weiss niemand. Die Forscher rätseln seit 150 Jahren darüber und haben einen Strauss voller Theorien und möglichen Erklärungen hervorgebracht, aber keine Antwort. Meine Gartenmauer schweigt zu diesem Thema. Doch irgendwo in ihr liegt die Lösung des Problems verborgen.



Eine von zwei Sukkulenten-Arten.
















In der kalten Nordschweiz
habe ich einen so üppigen
Mauerbewuchs noch nie
gesehen.

Freitag, 15. Oktober 2010

Schräger Senf

Der Senf macht das Gegenteil von allen anderen
Pflanzen: er wächst.
Es gibt zwei Faktoren, welche die Pflanzen im Oktober schlapp werden lassen: weniger Licht und weniger Wärme. Der Nussbaum etwa stellte unlängst seine Photosynthese ein, entzog den Blättern noch ihre Nährstoffe und nun entledigt er sich des dürren Laubs. Und so geht es vielen Pflanzen, die unter dem immer grösser werdenden Lichtenzug leiden. Sie packen ihre Sachen und bereiten sich auf die Winterstarre vor.
Na ja, es gibt Ausnahmen. Vor etwa vier Wochen habe ich in einem brachliegenden Gartenbeet Senf angesät. Auf der Packung heisst es, der Senf bringe Stickstoff zurück in den Boden, wenn man ihn nach einiger Zeit abschneidet und dann unter die Erde hackt. Was mich vor allem erstaunte, war die Angabe zum Saattermin. Bis in den Oktober hinein sollen die Samen noch keimen.
Ich habe mir von der ganzen Sache nicht allzuviel versprochen. Denn mit dem Ausklang des Sommers wollten auch die Gemüse nicht mehr so richtig wachsen. Der Kopfsalat dümpelte nur noch vor sich hin und bei den Chilis und den Paprikas konnte ich froh sein, wenn wenigstens eine Schote rot wurde. Ohne Licht macht das Gärtnern keinen Spass.
Und der Senf? Der macht genau das Gegenteil von allen anderen und wächst wie wild. Inzwischen bedeckt ein dichter, grüner Teppich mein Gartenbeet. Gerade hat er das erste Laubblatt hervorgebracht und es sieht nicht so aus, als würde er sich um den drohenden Winter kümmern. Offenbar liegt das daran, dass der Ackersenf eine so genannte Halblichtpflanze ist. Das heisst, sie wächst auch noch bei einen Bruchteil der Lichtmenge, die in den Sommermonaten vorhanden ist. Man könnte ihn also als das «Moos» unter dem Gemüse bezeichnen. Ein Überlebenskünstler, der ganz wenig braucht, um wachsen zu können.

Montag, 11. Oktober 2010

Die Spitze des Pilzberges

Die meisten Pilze des Gartens kommen
gar nie an die Oberfläche. Stattdessen
verbringen sie ihr ganzen Leben in der
Dunkelheit des Bodens.
Der Herbst hat ein Meer aus Pilzen in den Wald gezaubert und ich muss aufpassen, wo ich auf meinem Spaziergang hintrete. Anders sieht es in meinem Garten aus. Dort sind die Pilze ziemlich dünn gesät. Das heisst, es gibt genau eine kleine Gruppe, die etwa die Fläche eines Bierdeckels einnimmt. Warum dieser frappante Unterschied?
Vielleicht liegt es einfach an unserer Wahrnehmung. Denn was wir gemeinhin als «Pilz» bezeichnen, ist ja genau genommen nur der Fruchtkörper von ihm. Dieser oberirdische Teil ist eine Startrampe für die Sporen, die aus den Lammellen auf der Unterseite der Pilzhüte fallen und so vom nächsten Luftzug erfasst werden. Diese Methode wird jedoch nicht von allen Pilzen verwendet. Vor allem solche, die im Grasland vorkommen, bilden gar nie einen oberirdischen Fruchtkörper. Stattdessen verbringen sie die ganze Zeit ihres Lebens in der Verborgenheit des Bodens.
Das heisst jedoch nicht, dass es in einer Wiese weniger Pilze gibt als im Wald. Nein, das wäre undenkbar. Denn Klee, Gräser und Kräuter sind auf ihre Hilfe angewiesen. Sie sind geradezu überlebenswichtig. Die Pilze durchdringen nämlich mit ihren feinen Fäden den Boden und entziehen ihm feinste Spuren von Nährstoffen, wie zum Beispiel Phosphor. Diesen geben sie an die Wurzeln der Wiesenpflanzen ab. Die Pflanzenwurzeln selbst sind nicht im Stande, sich die Nährstoffe zu beschaffen, weil sie zu dick sind. Nur das mikrofeine Geflecht der Pilze kann das. Auf diese Weise wird es zum geheimen Motor des Graslandes – und des Rasens in meinem Garten.
Die Pflanzen bezahlen den wertvollen Service mit Zucker, den sie während der Photosynthese herstellen. Pilze lieben Zucker und sie sind den Pflanzen dankbar, dass sie dieses für beiden Seiten vorteilhafte Tauschgeschäft eingehen können.

Freitag, 8. Oktober 2010

Vandalenhörnchen

Die alte Holzbank habe ich ausgerechnet dort vergraben,
wo das Eichhörnchen sein Vorratslager hat.
Diese Stelle lässt sich einfach nicht aus seinem Gedächtnis löschen. Jedes Jahr kommt hierher zurück. Jedes Jahr versucht es erneut das Unmögliche. Das Eichhörnchen in meinem Garten legt sich im Herbst einen Vorrat an Nüssen an. Davon gibt es bei mir genug. Sowohl der Walnussbaum als auch der Haselnussstrauch tragen beachtliche Mengen von ihnen. Die pflückt das Eichhörnchen und verscharrt sie im Garten. So schafft es sich eine dezentrale Vorratskammer, von der es in der kargen Winterzeit zehrt.
Bei der Auswahl seiner Lagerplätze geht das Tier offenbar nach einem bestimmten Plan vor. Es gräbt nicht einfach irgendwo im Garten, sondern nur an ausgewählten Stellen. Eine davon ist mein Gemüsegarten. Dort lässt es sich wunderbar buddeln und verstecken. Die Erde ist schön weich und die eigenartigen Zweibeiner, die den Beeten ab und zu mit Hacken zu Leibe rücken, säubern ihre Oberfläche pünktlich Mitte Herbst und schaffen so hervorragende Bedingungen für das Eichhörnchen. Ob das Tier brav aufgegessen hat, zeigt sich im Frühling. Die ersten Unkräuter, die im März spriessen, sind Walnussbäumchen und meistens sind es ziemlich viele.
Jedes Jahr scharrt es auf dem Holz
und zerstört dabei meinen Moosgarten.
Die Nager merken sich offenbar die guten Plätze und prägen sich diese in ihr Gedächtnis ein. Jedes Jahr vergraben sie ihre Nüsse an denselben Orten. Das hätte ich wissen müssen, bevor ich meinen Moosgarten anlegte. Vor vier Jahren demontierte ich eine alte Holzbank, die komplett mit Moos überwachsen war, und versenkte sie im Boden in einer halbschattigen Ecke des Gartens. Aber ich habe wohl genau eine der bevorzugten Buddelstätten des Eichhörnchens erwischt. Denn jedes Jahr im Herbst verwüstet es meinen Moosgarten, indem es hartnäckig auf dem darunterliegenden Holz herumscharrt. Offenbar ist es der Meinung, es könne dort noch immer seine Nüsse verstecken. Seine Versuche bleiben stets ohne Erfolg und für das Wohl meines Moosgartens wäre es schön, wenn es diesen Ort endlich aus seinem Gedächtnis streichen würde. Aber da kann ich wohl noch lange warten.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Gefangen im Winterquartier

Die Blindschleiche als Gefangene im Luftschacht. An der
senkrechten Wand geht es nicht weiter.
Blindschleichen heissen wohl so, weil sie sich meistens im blinden Fleck unserer Wahrnehmung bewegen. Sobald sie sich zeigen, sind sie auch schon wieder weg. Oft bleibt einem nur der flüchtige Blick auf eine Schwanzspitze, die in Sekundenbruchteilen vom Unterholz aufgesogen wird. Anders bei mir im Garten. Da gibt es jetzt Blindschleiche à discrétion – so viel ich will, wann ich will.
Grund dafür sind zwei Exemplare, die den Luftschacht meines Kellers mit einem Asthaufen verwechselten. Auf der Suche nach einem Winterquartier sind sie durch den Gitterrost gefallen. Da liegen sie nun auf dem groben, feuchten Kies, der den Schachgrund bedeckt, und wissen nicht so richtig, was sie tun sollen. Eine der beiden scheint den Irrtum erkannt zu haben und versucht an der glatten Betonwand hoch zu kriechen. Vergebens.
Ich habe Zeit, sie aus der Nähe zu betrachten.


Wie gut wäre es jetzt, wenn sie das Rad der Evolution zurück drehen könnten, um sich wieder ihrer verloren gegangenen Beine zu bemächtigen. Vielleicht denkt sie gerade darüber nach, warum ihre Vorfahren, die den Eidechsen glichen, nur so töricht sein konnten, sich eines krallenbewehrten Fusses zu entledigen. Damals gab es eben noch keine Luftschächte mit senkrechten, glatten Wänden; und Beine waren in einer Welt aus Unterholz vielleicht tatsächlich hinderlich, also weg damit.
Aber die zwei Irrfahrer können sich trösten. Am Wochenende befreie ich sie aus ihrer misslichen Lage. Wer schon die Evolution nicht zur Freundin hat, der soll wenigsten auf das höchst entwickelte Produkt der Evolution zählen können. (Meine ich damit mich?)

Freitag, 1. Oktober 2010

Hart im Nehmen

Hauswurz ist ein Meister im Wassersparen.
Es gibt Pflanzen, die tragen einem alles nach. Bekommen beispielsweise die Orchideen auf dem Fensterbrett zu viel Wasser, faulen sie; giesst man sie zu wenig, werden sie magersüchtig und schrumpfen zusammen. Andere sind da viel toleranter. Dem Gras im Garten etwa machen weder andauernde Regenfälle noch anhaltende Hitze etwas aus – so lange die Sonne nicht einen Monat am Stück vom Himmel brennt. Aber es gibt in meinem Garten einen Pflanzentyp, dem nicht einmal das etwas ausmacht. Die Sukkulenten.
Das Wort stammt aus dem Lateinischen und bedeutet «saftvoll» (suculentus). Das kommt nicht von ungefähr, denn diese Pflanzen tragen einen ständigen Wasservorrat in ihren Blättern. Von dem zehren sie in trockenen Zeiten. Wahre Meister der Sparsamkeit sind die Hauswurze. Sie gedeihen landauf und landab in vielen Steingärten oder sogar auf Dächern. In solchen Wüsten kann Wasser für lange Zeit Mangelware sein. Für die Hauswurze ist das Dank ihren wassertragenden Blättern kein Problem.
Ein anderer Vertreter der Sukkulenten ist der Mauerpfeffer. Er wächst of wild aus Mauerritzen und Steinspalten hervor, eben dort, wo andere Pflanzen wegen Wassermangels nicht mehr Fuss fassen können. Er besitzt kleinere Blätter als der Hauswurz dafür aber viel mehr von ihnen. Doch welcher von beiden versteht sich besser mit der Trockenheit?
Mauerpfeffer macht da schon eher schlapp.
Ich mache den Test und nehme ein leeres Konfitürenglass, in das ich etwas Sand gebe. Dann setze ich beide Wettkämpfer hinein, giesse ein einziges Mal und vergesse danach das Glas für ein paar Wochen. Das Resultat: Der Mauerpfeffer schrumpft zusammen wie die Orchidee. Seine kleinen Blättchen sind offenbar keine sehr guten Wasserspeicher. Daneben behält der Hauswurz seine Würde vollkommen. Im staubtrockenen Glas strahlt er grün und prall wie eh und je. Der ist wirklich hart im Nehmen.

Montag, 27. September 2010

Der Tafelberg

Der Schachtdeckel zum Öltank auch bekannt
als der «Tafelberg».
In Südamerika gibt es sonderbare Tafelberge. Ihre Seitenwände ragen senkrecht aus dem Urwald empor und verschwinden weit oben in den Wolken. Die Oberseite ist flach und wird von Pflanzen und Tieren bewohnt, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt.
Tafelberge gibt es ausser in Südamerika auch in meinem Garten. Nur sind sie nicht natürlichen Ursprungs, sondern von Menschenhand gemacht. Der Aussendeckel des Öltanks ist ein Beispiel. Er ragt mehrere Zentimeter über den Grasdschungel hinaus. Seine Oberseite und seine Seitenwände bieten – genau wie beim grossen Vorbild auf der anderen Seite des Atlantiks – Lebensraum für aussergewöhnliche Pflanzen: die Moose.
In dieser Diaschau sind alle Moosarten des Tafelbergs
aufgeführt. Wenn ihr draufklickt kommt ihr zum
entsprechenden Webalbum, wo ihr mir Tipps
bezüglich Artnamen geben könnt. Fülltext Fülltext Fülltext Füll  
Das Erstaunliche dabei ist, wie viele Arten auf so engem Raum zusammenleben. Jede von ihnen beansprucht nur einen kleinen Fleck für sich. Darum ändert sich alle Handbreit der Bewuchs. Die einzelnen Spezies auseinanderzuhalten ist gar nicht so einfach. Ich schätze, dass es zwischen vier und zehn Arten sind. Wenn ihr auf die Diaschau klickt, könnt ihr mir bei der Bestimmung der Namen helfen.

Donnerstag, 23. September 2010

Steinpflaster-Pflanzen

Pflastersteine sind ein Lebensraum. Wenn auch
ein sehr karger.


Es gibt Bücher, von denen weiss man Jahrzehnte lang nicht, dass sie überhaupt existieren. Vermutlich weil man das Thema, das sie behandeln, gar nicht als möglichen Inhalt für ein Buch erkannt hat. Aber wenn man erst einmal in ihnen blättert, verändert sich die eigene Sicht auf die Welt grundlegend. «Lebensräume der Schweiz» ist so ein Buch. Sein Inhalt: die Beschreibung aller 235 hiesigen Lebensraumtypen vom «Fliessgewässer» über den «Kastanienwald» bis zur «Kammgrasweide».
Die Schweiz – ja, jedes Land – ist ein Flickenteppich und jeder Flick ist ein Lebensraum. Manche kommen sehr oft vor wie zum Beispiel das «Brombeergestrüpp», andere sind eher selten wie die «Queckenbrache». Interessant ist, dass diese Einteilung vor meinem Garten nicht Halt macht, sondern direkt bis vor meine Haustür reicht. Dort liegt meine Einfahrt. Ein kleiner Platz, der mit Pflastersteinen besetzt ist. Und tatsächlich führt das Buch die «Steinpflästerung» als Lebensraumtyp auf. Da lese ich in der Beschreibung: «Im Allgemeinen lückiger, niedrigliegender Pflanzenteppich in Fugen von Pflastersteinen und Ritzen andersartiger Hartbeläge, die stark begangen werden.»
An den Rändern der Einfahrt blühen die Pflanzen sogar. 




Dort können nur Moose und kleinwüchsige Gefässpflanzen überleben, wie es heisst. Ich mache die Probe auf’s Exempel und schaue vor meiner Haustür nach. Und tatsächlich finde ich ein halbes Dutzend verschiedene Arten, die zwischen den Ritzen der Pflastersteine hervorwachsen. Das Moos gedeiht am üppigsten, vor allem in der Nähe der Schatten spendenden Hauswand. Sie lieben es eben kühl und feucht. Hingegen wo es mehr Sonne gibt, gedeihen kleine Kräuter und ein rotblättriger Klee bringt sogar Blüten hervor mitten in dieser kargen Steinwüste.
Hier profitiert einer vom anderen: Das
Moos speichert Feuchtigkeit und die
kleine Erdbeere bedient sich davon.

Die meisten Pflanzen wachsen an den Rändern der Einfahrt. Dort sammelt sich am meisten Laub und anderes Material, das als dürftiger Bodenersatz herhalten muss. Aber sogar auf den Pflastersteinen selbst gibt es Leben. Flechten und Algen wachsen in dieser sonnenversengten Todeszone, wo es meistens kein Wasser gibt oder dann viel zu viel auf einmal, wenn der Regen fällt. Meine Einfahrt ist übrigens ein bedrohter Lebensraum. Im Buch heisst es: «Dieser Pflanzenbewuchs wird häufig beim Überziehen der Steinpflästerung mit Asphaltbelägen oder durch Herbizidbehandlungen zerstört.» Also Finger weg von der Giftkeule.

Montag, 20. September 2010

Die Duftwolke

Der Efeu blüht – ein letztes Aufbäumen
des Sommers.
Es ist Herbst. Das war’s. Das Leben im Garten erlischt. Stimmt nicht. Dieser Tage schwebt eine Wolke eines eigentümlichen Duftes über dem Sitzplatz. Es riecht nach süssem Schweiss und beim Einatmen kratzt es in der Nase. Ich muss nur nach oben schauen, um den Ursprung auszumachen. Da steht der alte Birnbaum, der vor Jahren seine letzte Birne abgeworfen hat. Er ist dick überwachsen mit Efeu. Und der Efeu blüht. Tausende von Blüten.
Dass ich es mit der Nase statt mit den Augen zuerst gesehen habe, hat einen einfachen Grund. Die Farbe der Blüte ist grün. Sie ist perfekt getarnt. Nur die mit Pollen behafteten Staubbeutel sind gelb. Den Insekten scheint der Mangel an Farbe nichts auszumachen. Was Flügel hat, feiert jetzt die letzte Schlemmerparty. Da gibt es Honigbienen, Fliegen, Schwebefliegen und Wespen. Offenbar riechen sie den Zuckersaft mit ihren Fühlern.
Der ganze Blütenboden ist mit Zuckersaft getränkt.
Diesen gibt der Efeu grosszügig her. Er sondert ihn über den ganzen Blütenboden ab. Dieser ist eigenartigerweise nach vorne gewölbt und ganz leicht zugänglich. Die Insekten brauchen nur noch zu landen und loszulecken. 

Donnerstag, 16. September 2010

Beziehungsstatus: Farn

An seiner Unterseite entlässt jeder
Farnwedel Milliarden von Sporen.
Menschliche Beziehungen können kompliziert sein. Da gibt es Mann und Frau, Partner und Lebenspartner, Geliebte und die grosse Liebe, Flirts und Flops. Das mag manchem Kopfweh bereiten und doch gibt es eine Art von Beziehung, eine besondere Form der Liebkosung und der sexuellen Vereinigung, die sie alle in den Schatten stellt. Sie geschieht genau jetzt in meinem Garten – lautlos und in der Privatsphäre der untersten Schicht des Rasens.
Aber beginnen wir weiter oben: Der Wurmfarn entlässt gerade Milliarden von Sporen. Ich kann sie weder sehen noch riechen, aber nichtsdestotrotz schweben sie durch die Luft. Ich atme sie ein und wieder aus und irgendwann landen sie auf der Erde, auf einem Grashalm oder zwischen dem Unkraut im Steingarten. In der feuchten Geborgenheit der Bodenstreu, so möchte man meinen, keimen die Sporen und wachsen zu neuen Farnpflanzen heran. Weit gefehlt. Farne lieben es kompliziert.
Denn die Sporen sind im Grunde nur halbe Farne. Sie besitzen nur die Hälfte des Erbguts ihrer Mutterpflanze. Darum wächst aus ihnen auch nur ein kümmerliches Pflänzchen. Die Botaniker nennen es einen «Gametophyt». An seiner Unterseite bildet er einerseits Kapseln, die Eizellen enthalten. Andererseits bringt er Auswüchse hervor, aus denen kleine, mit Geisseln bewehrte Spermien strömen. Pflanzliches Sperma. Die kommen freilich nur dann vom Fleck, wenn es draussen sehr nass ist. Also bei Regenwetter etwa. Dann rudern sie auf dem feinen Wasserfilm, der das Leben im Garten bedeckt, zu einem benachbarten Gametophyt und verschmelzen mit dessen Eizellen. Erst aus dieser Befruchtung geht eine neue Farnpflanze mit einem vollständigen Erbgut hervor.
Wer jetzt dessen Eltern sind, ist eine schwierige Frage. Sind es zwei Gametophyten, zwei Sporen oder zwei Farne? Oder ein Farn, aus dem zwei Sporen zu zwei Gametophyten geführt haben und dann... Also: Kopfweh dürft ihr euch das nächste Mal erst erlauben, wenn ihr den Beziehungsstatus «Farn» erreicht habt.

Montag, 13. September 2010

Die süsse Giftpille

Die rote Eibenbeere ist süss und
ungiftig. Ihr Inhalt, der Samen, jedoch
kann töten.
Bei Eibenbeeren sind sich die Vögel uneinig: sollen sie oder sollen sie nicht reinhauen? Die Zweifel haben sie mit gutem Grund. Denn die Eibe steckt voller Gift. Die Rinde, die Nadeln und die Samen enthalten Taxin, ein stark wirksames Nervengift. Eingenommen kann es im Extremfall innert weniger Minuten zum Herzstillstand führen. Motor aus, Vogel tot. Die Meisen und die Amseln müssen das irgendwie spüren oder vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen mit dem Verzehr der Samen gemacht und meiden ihn darum.
Gut, Finger weg von den Samen also – aber die Vögel kommen trotzdem immer wieder an den Baum zurück und fressen sich voll. Warum? Weil der Baum seine Samen in rotes, zuckersüsses Fruchtfleisch verpackt. Es ist der einzige ungiftige Teil an der ganzen Pflanze und seine leuchtende Farbe schreit die Amseln geradezu an: «Iss mich!»
Ein hinterhältiges Angebot auf den ersten Blick, doch die Natur meint es gut mit den Vögeln. Sie hat ihnen einen der schnellsten Verdauungsapparate im Tierreich geschenkt. Was vorne rein kommt, wird innert weniger Stunden hinten wieder ausgeschieden. In dieser Zeit werden die Magensäfte gerade mal mit dem Zucker der Beeren fertig, aber nicht mit den harten Eibensamen. Dieser Umstand rettet den Vögeln das Leben. Wenn sie ihn unversehrt an einem anderen Ort wieder ausscheissen, sind sie ihn samt seinem Gift los.
Weibliche Eiben produzieren jedes Jahr
Tausende von Samen.
Also können sich die Amseln den Wanst getrost voll schlagen? Fast. Denn einen Haken hat die Sache. Wenn der Samen verletzt wird – und das kann bei einem grossen Bankett schon mal passieren – dann setzt er sein Gift frei. Deswegen frisst die schlaue Amsel nur die Beere und spuckt den Samen wieder aus. So wird die Eibe zwar um ihren verdienten Ausflug in eine andere Gegend betrogen, doch wenigstens spielt der Vogel dabei kein Russisches Roulette.

Donnerstag, 9. September 2010

Nervtöter-Fresserin

Geschickt hält sich die Springspinne
am Fensterrahmen fest und
saugt ihr Abendmahl aus.
Artenvielfalt hat einen Wert. Jetzt weiss ich es. Denn gerade als ich die Vorhänge in meinem Büro zuziehen will, entdecke ich eine kleine Springspinne. Sie ist nicht allein. In ihren Fangzähnen hält sie eine Fliege fest. Beide sind absolut regungslos. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Fliege würde sich wahrscheinlich gerne bewegen, jetzt wo die Linse meiner Kamera nur wenige Zentimeter vor ihr in Stellung geht. Doch sie kann es nicht. In ihrem Körper befindet sich wohl schon seit einigen Minuten ein Verdauungssekret. Das Zersetzt ihre Organe und ihr Nervensystem und macht aus ihnen einen flüssigen Cocktail, den die Springspinne jetzt genüsslich ausschlürft. Dabei bewegt sich die Jägerin keinen Millimeter. Das ist vermutlich Taktik, denn wer sich ruhig verhält beim Fressen, der läuft weniger Gefahr, entdeckt zu werden und so selbst als Leckerbissen zu enden. Befände sich die Springspinne draussen auf einem Baumstamm oder an einem Pflanzenstängel, würde man sie dank ihrer Tarnfärbung auch kaum sehen. Ich weiss zwar nicht, wie die Spinne durch das mit Fliegengitter gesicherte Fenster kam, aber sie darf ruhig bleiben. Wer mir gratis und diskret die fliegenden Nervtöter vom Leibe hält, ist immer ein gerngesehener Gast.

Sonntag, 5. September 2010

Todesstrafe verhängt

Altgrasstreifen sind Heuschrecken-
paradiese. Die Tiere lieben es, auf den
verdorrten Stängeln zu zirpen.

Als ich vor ein paar Monaten beschloss, einen Teil des Rasens nicht zu mähen, konnte ich mir noch nicht genau vorstellen, was das der Artenvielfalt in meinem Garten nützen soll. Mit der Zeit verdorrten die Halme und das Gras verfilze immer mehr. Nichts für das Auge. Aber dafür verbesserte sich je länger je mehr die Akustik. Heute finden in diesen Arealen der Unordnung regelmässige Konzerte statt. Die Heuschrecken zirpen um die Wette. Sie lieben diesen Miniaturdschungel.
Nun hat jedoch Grossmutter dieses Wochenende ein Machtwort gesprochen und verfügt, dass ich den ganzen Rasen mähe – jeden einzelnen Halm davon. Meine Wildnisinseln sind Geschichte und mit ihnen das Leben, das sie enthielten. Der Rasenmäher konnte aber nicht alles vernichten. Manche Heuschrecke retteten sich mit einem Sprung vor den beiden rotierenden Klingen. Bei den Spinnen war die Lage weniger hoffnungsvoll. Viele von ihnen endeten als Konfetti.
Wespenspinnen fühlen sich im Chaos eines
ungeschnittenen Rasens ebenfalls sehr wohl.
Als ich gerade dabei war einen weiteren Streifen des Dschungels in englischen Rasen zu verwandeln, kroch eine grosse Wespenspinne verzweifelt vor dem näher kommenden Mäher davon. Ich konnte gerade noch rechtzeitig anhalten. Eine richtige Schönheit. Ich nahm sie in die Hand (die Giftzähne können die menschliche Haut nicht durchdringen) und setzte sie auf einem Busch ab. Dort war sie in Sicherheit.
Diese Begegnung zeigt einmal mehr, wie wichtig die Unordnung für den Erhalt der Artenvielfalt ist. Mit einer chaotischen Umwelt wissen Tiere mehr anzufangen als mit unseren herausgeputzten Gärten. Das Beispiel zeigt jedoch auch, wie schwierig es ist, das eigene Verhalten seinem Wissen anzupassen. Einer der Gründe, warum die Artenvielfalt heute weltweit bedroht ist.

Donnerstag, 2. September 2010

Die Wasserdampf-Trinker

Die Gartenmauer ist die senkrechte Heimat
der Pinselfüsser.
Auf meiner Gartenmauer neben der Einfahrt leben eigenartige Tiere. Sie heissen Pinselfüsser (Polyxenus lagurus) und sind nur vier Millimeter lang. Ihr ganzer Körper ist mit federartigen Auswüchsen bedeckt. Darum wohl der Name. Ihre Nahrung besteht aus Algen und Flechten, was die senkrechte Wand zu einem Schlemmerland für sie macht. Die kleinen Tierchen gehören zur Gruppe der Tausendfüsser, sie besitzen jedoch nur gerade 12 Beinpaare. Was ihnen an Laufkraft fehlt, machen sie mit Hightech wett. Die Pinselfüsser sind nämlich sehr trockenheitsresistent. Das heisst, über ihren Panzer verdunstet fast kein Wasser. Was in ihrem Körper ist, bleibt auch dort. Zudem entziehen sie ihrem Kot die Feuchtigkeit, bevor sie ihn ausscheiden. Auch hier wird also gespart.
Die seltsamen Auswüchse auf seinem Körper geben den
Pinselfüssern ihren Namen. Der Kopf ist hier rechts unten.
Das Wundersamste an ihnen ist jedoch ihre Gabe, Wasserdampf zu trinken. Damit meine ich nicht die kleinen Tautröpfchen, die am Morgen wie feiner Nebel durch die Luft schweben und sich auf der Autoscheibe als Wasserfilm niederschlagen. Nein. Sie trinken den unsichtbaren Wasserdampf, Luftfeuchtigkeit mit anderen Worten, der uns in jeder Sekunde umgibt. Das fanden Wissenschaftler heraus, indem sie die Tiere in einen Luftstrom von 80 Prozent Luftfeuchtigkeit steckten. Die Pinselfüsser legten in einigen Stunden 20 Prozent ihres Gewichtes zu. Sie tranken die Feuchtigkeit des Luftstroms. Mit welchem Organ sie das machen, wissen selbst die Forscher noch nicht. Ein ungelöstes Rätsel direkt vor der Haustür.

Sonntag, 29. August 2010

Die Pollenschleuder

Im ganzen Baum wachsen gerade Hunderte oder Tausende
solcher Zapfen heran – allesamt voller Pollen.
Die Allergiker atmen auf. Bald ist das Pollenjahr vorüber und alle erdenklichen Pflanzen vom Hasel bis zur Goldrute haben abgeblüht. Fast alle. Denn der ganz dicke Nachbrenner kommt erst noch: die Atlaszeder. Unter ihnen produzieren zwar nur die Männchen Pollen. Aber die machen das dafür gleich im Überfluss. In meinem Garten steht ein grosses Exemplar und auf jedem einzelnen Ast wachsen ein oder zwei Dutzend männliche Zapfen. Die werden sich bald öffnen und es Pollen regnen lassen, als gäbe es kein Morgen. Der Baum steht gleich neben der Einfahrt und wenn ich mein Auto nur für ein paar Stunden dort stehen lasse, ist es gepudert. Zum Glück bin weder ich noch das Auto allergisch.
Aber mühsam ist das Sexleben dieses Baumes trotzdem. Denn wenn er erst einmal all seine Pollen losgeworden ist, wirft er die Zapfen einfach ab. Die sind nicht etwa hart wie Tannzapfen, sondern schön weich. Sie besitzen die üble Angewohnheit, sich mit Wasser voll zusaugen. Wenn sie dann zu Boden fallen, bleiben sie an Ort und Stelle haften, wie nasse Wattebausche. Jetzt kann man sich ja vorstellen, wie mein Auto dann aussieht. Vor allem die Scheibenwischer muss ich jeden Tag reinigen, sonst geht gar nichts mehr.
Aber ein wenig tut mir die männliche Atlaszeder auch Leid. Denn sie ist in meinem Garten die einzige ihrer Art. Die meisten ihrer Pollen werden wohl nie auf das weibliche Gegenstück treffen und so zu einem neuen Samen, einem potenziellem Nachkommen, führen. Die einzige Hoffnung liegt in einer Baumschule etwa einen Kilometer Luftlinie von meinem Garten entfernt. Wenn der Wind von Südwesten bläst haben die Pollen vielleicht eine Chance, es über das kleine Wäldchen dazwischen zu schaffen. Hoffentlich gibt es dort auch ein paar Weibchen.

Mittwoch, 25. August 2010

Mikro-Gärten

Zwischen den Steinplatten öffnet sich ein neuer Lebensraum.
Gärten sind wie gekotzte Milch – keine einheitliche Masse, sondern ein Gemenge aus unterschiedlich grossen Klümpchen. Gärten bestehen nicht nur aus «Grünfläche» oder «Rasen», nein, vielmehr sind sie aus einer Vielzahl kleiner Lebensräume zusammengesetzt. Jeder von ihnen ist wieder ein Mikro-Garten für sich. Natürlich muss man das Auge etwas schulen, bevor man die Grenzen zwischen den einzelnen Abschnitten ausmachen kann. Üben lässt es sich gut auf dem Sitzplatz, denn dort ist die Gliederung noch recht klar ersichtlich.
Die Oberfläche der Steinplatten ist eine Art von Lebensraum. Es gibt dort Ameisen, die auf und ab rennen, ab und zu eine Fliege oder ein Laufkäfer. An den Plattenrändern öffnet sich ein neuer Abschnitt. Aus den Spalten wächst Gras, Moose oder sogar Erdbeeren hervor. Einen Schritt weiter steht eine alte Holzbank. Sie ist übersät mit winzigen Algen, die ihr einen grünen Anstrich verleihen. Das Holz ist immer etwas feucht und bietet den winzigen Pflanzen den besten Nährboden für ihr Wachstum. Und über ihnen machen sich die Flechten breit. Links von der Bank steht die Vogeltränke. Auf einmal ist da Wasser in der kargen Steinwüste der Bodenplatten. In diesem Miniaturtümpel schwimmen Mückenlarven.
Auf der Gartenbank wachsen Algen
und Flechten.
Jetzt auf den Rasen. Im ewigen Schatten unter dem grossen Busch haben sich die genügsamen Indischen Scheinerdbeeren breit gemacht. Das Gras muss dort weichen. Ebenso dort, wo das Grundwasser aus dem Boden drückt und Moos in grossen Polstern wachsen lässt. Gras hat da keine Chance. Erst auf der Südseite, wo die Sonne den ganzen Tag scheint, ist der Rasen ein Rasen aus Gras. Doch nur zwei Meter weiter unter der grossen Akazie fällt so wenig Regen hin, dass Brombeeren und Unkräuter das Feld dominieren. So ist jeder Lebensraum das Zuhause einer anderen Gruppe von Lebensformen.

Freitag, 20. August 2010

Grüne Wüste

Distelblüten gehören zu den letzten Tankstellen für
Hummeln und Bienen.
Der Alant ist bereits verblüht, die Anemonen werden bald schlapp machen und vom Rest der Gartenpflanzen erwarte ich nicht mehr viel. Die Zeit des Blühens, des Pflanzensex, ist grösstenteils vorbei. Nun ist die Reifephase gekommen. Die Früchte füllen sich mit Saft und die Samenkapseln werden mit jedem Tag dürrer, bis sie ihre wertvolle Fracht zu Boden fallen lassen. Die Pflanzen haben kein Problem mit diesem neuen Lebensabschnitt. Wohl aber die Insekten, die auf Nektar angewiesen sind. Für sie hat sich der Garten in einen Ort verwandelt, der zwar noch grün ist, aber in dem es keine Nahrung mehr für sie gibt: eine grüne Wüste.
Darum bekomme ich sie immer seltener zu Gesicht. Sie sind zu anderen Jagdgründen geflogen, möglicherweise zu einem Streifen Klee, den der Bauern noch nicht gemäht hat, zu den Unkräutern in einer Hecke oder zu den kleinwüchsigen Blütenpflanzen in der nächsten Kiesgrube.
Die Kehrseite: Hunderte von Samen an kleinen
Fallschirmchen. Da hat mein Nachbar wenigstens auch
noch etwas davon.
Es gibt allerdings eine Ecke im Garten, wo der Flugverkehr noch rege im Gang ist. Der Grund dafür ist eine Pflanze, die von den Gärtnern im Allgemeinen gehasst wird. Die Distel. Neben der Akazie wächst ein riesiges Exemplar. Sie ist eineinhalb Meter hoch und übersät mit hübschen Blüten. Ein Festessen für Hummeln und Bienen. Sie bohren ihre Köpfe tief zwischen die Blütenblätter und saugen den Zuckersaft aus den Nektardrüsen. Die Insekten können sich glücklich schätzen, denn die Distel wird wohl noch einige Wochen lang ständig für neuen Nachschub sorgen.
Ihr Vorteil könnte sich im nächsten Jahr zu meinem Nachteil entwickeln. Spätestens dann, wenn die vielen Hundert Samen, die eine solche Distel hervorbringt, zu keimen beginnen und meinen Garten in einen stacheligen Wald verwandeln. Ich kann mich schon mal auf viel Jätarbeit gefasst machen. Aber die Bienen sind es mir wert.

Montag, 16. August 2010

Nach Land fischen

Die Ausläufer arbeiten sich über den Randstein auf die
Strasse vor immer gesichert durch eine Leine.
Die Strasse ist die Todeszone schlechthin. Dort ist es trocken und heiss, es gibt keine Erde und jegliches Leben wird sofort mehrfach platt gewalzt. Allerdings gibt es einen schmalen Streifen, der nur äusserst selten bis nie mit einem Autoreifen in Berührung kommt: der Strassenrand. Und genau diesen Lebensraum versuchen gerade meine Walderdbeeren zu erobern.
Ihre Strategie ist die folgende. Sie bilden einen Ausläufer, den sie weg vom Rasen auf den Randstein schieben. Der Ausläufer, eine kleine Kopie der Mutterpflanze, bildet wiederum einen Ausläufer. Dieser schafft es bereits bis zum Ende des Randsteins. Dort entwächst ihm erneut ein Ausläufer, der es dieses Mal auf die Strasse hinunter schafft. Der ganze Tross ist indes mit einem Kabel mit der Mutterpflanze auf dem Rasen verbunden. Von dort werden die Jungpflanzen mit Nährstoffen versorgt. Zum Glück, denn ihre Wurzeln können sich kaum in den steinharten Untergrund bohren.
An den jungen Erdbeerpflanzen
staut sich während Unwettern
altes Pflanzenmaterial.
Jetzt kommt der Trick. Das Kabel ist auch eine Art Sicherungsleine. Strassenränder haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie bei Regen von reissenden Bächen heimgesucht werden. Die Sicherungsleine sorgt dafür, dass die jungen Erdbeeren nicht in der Kanalisation enden. Aber sie macht noch mehr. Der Bach spült Erde und kleine Pflanzenteile wie etwa Tannennadeln mit sich. Die bleiben in den Wurzeln der jungen Erdbeeren hängen und bilden bald ganze Haufen. So entsteht unter ihnen ein Kompost, der sie nun mit Nährstoffen versorgt. Das ist natürlich alles eine ziemlich lose Angelegenheit, doch die Sicherungsleine hält alles an Ort und Stelle fest. Der Strassenrand ist besiedelt.

Freitag, 13. August 2010

Die Zeitmaschine

Links das Baby, rechts die erwachsene Bänderschnecke.
Mit dem Alter mehren sich die Windungen. Die Rillen
auf dem Haus sind Wachstumslinien. Sie entstehen, weil
die Schnecke ihr Haus in Schüben weiterbaut.
Wie ein Chamäleon verändern wir Menschen unser Aussehen mit den Jahren. Doch anders als das Reptil können wir nie mehr zu unserem früheren Ich zurückkehren. Ein Baby-Gesicht haben wir einmal und dann nie mehr. Bei den Häuschen-Schnecken ist das anders. Die tragen ihre Babyjahre, ihre Kindheit und ihre Teenager-Zeit ständig mit sich herum.
Das Schneckenhaus ist ein spiralförmiger Gang, dessen Öffnung sich mit jeder Windung verbreitert. Wachstum bedeutet für eine Schnecke, diesen Gang ständig weiterzubauen. Sie beginnt damit nach dem Schlüpfen aus ihrem Ei. Zu diesem Zeitpunkt besteht ihr Haus aus nicht einmal einer Windung. Aber mit jedem Monat, der verstreicht, fügt sie einige Millimeter Kalk an der Öffnung hinzu. Als Teenager hat sie dann drei oder vier Windungen vollbracht und als Erwachsener fünf oder sechs (bei den Bänderschnecken zumindest).
Natürlich kann man damit auch
Türmchen bauen.
Das heisst, jedes Schneckenhaus ist eine Art Zeitmaschine. Folgt man den Windungen ins Zentrum, reist man mit jedem Zentimeter weiter zurück in die Vergangenheit. Nach der letzten Windung, ist man bei der Geburt angekommen. So sah sie als Baby aus. Ihr Leben lang trägt sie diesen Spiegel ihrer Vergangenheit mit sich herum.

Dienstag, 10. August 2010

Recycling auf 14 Beinen

Asseln fressen sich durch meinen Komposthaufen und
machen aus Pflanzen wieder Humus.
Pflanzen machen viel Abfall. Sie bringen Blätter, Blüten und Früchte hervor, stellen sie ein paar Wochen zur Schau und werfen dann die ganze Pracht zu Boden als sei sie nichts wert. Die Welt wäre schon längst unter einem Berg von Pflanzenabfällen begraben worden, wenn nicht ständig eine unermüdliche Armee dafür sorgen würde, dass jedes gefallene Blatt sogleich in seine Bestandteile zerlegt wird.
Das ist der Lebensinhalt der Asseln. Deswegen sind sie in meinem Komposthaufen besonders zahlreich. Dort fressen sie sich durch matschigen Salat, verschimmelte Zitronenschalen und Aststückchen. Mit ihrem Darm brechen sie das Pflanzenmaterial auf und entnehmen ihm die Nährstoffe, die sie zum Überleben benötigen. Den Rest scheiden sie wieder aus. Weil sie aber eine ziemlich schlechte Verdauung haben, ist das, was hinten raus kommt, immer noch sehr nahrhaft. Darum fressen sie ihren Kot gleich mehrmals, um bloss nichts zu verschwenden. So entsteht am Ende das, was Pflanzen am meisten lieben: ein kleiner, düngerreicher Humuskrümel.
Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...