Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Mittwoch, 30. Dezember 2009

Die Einfahrt #3 (letzter)

Hier sind meine roten Rosen. Bestrahlt man das
Chlorophyll (Blattgrün) der Algen mit Licht einer
bestimmten Wellenlänge, beginnt es rot zu leuchten.
Diese so genannte Eigenfluoreszenz ist umso intensiver,
desto mehr Photosynthese das Chlorophyll gerade
betreibt. Vergrösserung: 10000
Wie alle Pflanzen benötigen auch die Algen Feuchtigkeit, um zu gedeihen. Das erklärt, warum sie sich nur in den Vertiefungen der Sandsteinoberfläche vermehren. Auf den Kuppen und Gipfeln verdunstet das Wasser sehr schnell. Dazu kommt die Sonne, die diese Regionen in heisse Trockenwüsten verwandelt. Keine Pflanze toleriert das auf Dauer. Auch die kleinste von ihnen nicht. Doch unten in den Ritzen sind sie vor Wind und Sonne für die meiste Zeit des Tages geschützt. Das Wasser bleibt dort länger haften und spendet den Algen für längere Zeit Feuchtigkeit. In diesem Mikrokosmos macht der Unterschied zwischen Gipfel und Schlucht im besten Fall einige Millimeter aus. Nichtsdestotrotz entscheidet diese winzige Distanz zwischen Leben und Tod.
So liegen die Extreme unmittelbar nebeneinander. Hier die sonnenverbrannten Sandsteingipfel, dort die Täler, die sich wie blühenden Oasen Zentimeter weit entlang meiner Einfahrt erstrecken. Eine wahre Freude – wenn auch eine, die man erst für sich entdecken muss. Das Wunder aber endet hier noch nicht. Algen sind nicht nur die einfachsten Pflanzen des Gartens, sondern auch die ältesten, was ihre Entwicklungsgeschichte betrifft.
Sie waren die ersten Pioniere, die sich vor 450 Millionen Jahren aus den Fluten der Ozeane auf das Festland wagten. Damals waren sie Wesen zwischen zwei Welten. Halb gehörten sie ins Wasser, halb ans Trockene; halb waren sie neugierig auf das unentdeckte Land hinter dem Ozean, halb liess sie die Leichtigkeit des Lebens im Wasser nicht los.
Vielleicht sah die Urwelt genau so aus wie die Oberfläche des Randsteins. Eine verwitterte Küste ohne Leben doch mit Ritzen und Rinnen, in denen sich die Feuchtigkeit hielt und eine erste Nische für einen Wald voller Algen und Amöben bildete. Niemand weiss, ob es tatsächlich so gewesen ist – aber es könnte. So schaue ich jedes Mal, wenn es auf meine Randsteine regnet, eine halbe Milliarde Jahre in die Vergangenheit und werde Zeuge davon, wie die ersten einfachen Pflanzen zwei Meter von meinem Garagentor entfernt das Land erobern.
Nach dieser Pionierleistung haben sich aus den Algen alle anderen Pflanzen entwickelt. Zuerst die Moose und die Farne, dann die Föhren, das Gras, die Nelken und zu guter Letzt die Rosen. Hier sind sie nun endlich. Die Rosen in meiner Einfahrt. In allen Farben leuchtend, nach süssen Düften riechend. Auch wenn ich mich in gewissem Sinne 450 Millionen Jahre zu früh über sie freue.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...