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Donnerstag, 17. Dezember 2009

Die Winter-Exhibitionisten #2

Bei meiner Glockenblume haben sich
die Gene für das Blühen eingeschaltet,
aber nicht mehr aus.
Trotzdem kann jede Pflanze ganz präzise Rückschlüsse über die jeweilige Jahreszeit ziehen. In ihren Blättern zirkulieren lichtempfindlichen Proteine, die so genannten Phytochrome. Sie zersetzen sich unter dem Einfluss von Sonnenlicht. So fühlt die Pflanze, wann die Sonne scheint und wann es Nacht ist, je nachdem wie viele Phytochrome gerade in ihrem Saft schwimmen. Steht die Sonne nur für wenige Stunden am Himmel, wie zum Beispiel im Winter, ist die Konzentration von Phytochromen nur für kurze Zeit auf einem tiefen Niveau. Die Pflanze weiss, es ist Winter, es gibt wenig Licht und darum macht es auch keinen Sinn eine Blüte auszutreiben. Doch sobald die Tage länger werden, ist auch der Phytochrom-Pegel in der Pflanze für längere Zeit tief. Sie weiss, es ist Frühling und ab einer bestimmten Tageslänge – bei manchen ist das 12 Stunden bei anderen 14 oder mehr Stunden – bringt sie eine Blüte hervor.
Manche verlassen sich jedoch überhaupt nicht auf ihre Klimadaten. Zu ihnen gehört auch die Glockenblume, die nur wenige Meter von der Primel entfernt im meinem Steingarten wächst. Sie hält jetzt ein ganzes Dutzend Blüten feil. Einmal mehr frage ich mich: Wozu? Es ist ein hübsches und zugleich erbärmliches Bild. Die ganze Pracht liegt halb zusammengedrückt unter dem Schnee. Offenbar gefällt das der Glockenblume nicht sonderlich, denn sie hält ihre frischesten Blüten fest geschlossen. Wenn der Schnee demnächst wieder schmelzen sollte, wird sie ihre Blüten wieder öffnen und sich vermutlich fragen, wo denn all die Hummeln geblieben sind.
Temperaturverlauf im Gebiet um Zürich. Im Oktober (ganz rechts) bricht die Temperatur ein und steigt im November auf überdurchschnittliche Werte an. Mehr Klimadaten aus der Schweiz gibt es auf meteoschweiz.ch.
Die Kälte bringt mich auf eine Idee. Vielleicht sind die starken Temperaturschwankungen im Oktober und November der Grund, warum die Glockenblume immer noch in voller Blüte steht. Denn neben der Tageslänge können Pflanzen auch Kälte wahrnehmen. Sie ist in der Regel ein zuverlässiger Indikator für die jeweilige Jahreszeit. Eine intensive Kälteperiode sagt der Pflanze, dass es Winter ist. Man nennt diesen Prozess Vernalisation. Sobald die Kälte allerdings weicht, nimmt die Pflanze an, es sei Frühling und höchste Zeit, mit dem Blühen zu beginnen. Vielleicht dachte die Glockenblume nach dem starken Temperaturabsturz Mitte Oktober, dass der Winter plötzlich hereingebrochen sei. Im überdurchschnittlich warmen November stand dann der «Frühling» vor der Tür. Zeit zu blühen. Und im Dezember kam der Schnee.
Na ja, ich bin selbst nicht von dieser Theorie überzeugt. Ich glaube, dass die Glockenblume gar nie aufgehört hat mit Blühen, sondern den ganzen Sommer bis in den Dezember einfach weitergemacht hat. In einer wissenschaftlichen Studie habe ich gelesen, dass die Vernalisation bei manchen Arten nicht umkehrbar ist. Das heisst, wenn eine Pflanze einmal eine Kälteperiode erlebt hat, hört sie nie mehr auf zu blühen. In derselben Studie vermuten die Autoren, dass es auf den Genen, die für das Blütentreiben verantwortlich sind, eine Schutzschicht gibt. Sie sorgt dafür, dass die Gene nicht aktiv sind. Kälte kann diese Schicht allerdings zersetzen und die Blütengene freilegen. Sobald das geschieht, schalten sie sich ein. Im Fall meiner Glockenblume vielleicht für immer.

Literatur:
S.D. Michaels and R.M. Amasino 2000: Memories of winter: vernalization and the competence to flower, Plant, Cell and Environment 23, 1145-1153

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