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Mittwoch, 7. April 2010

Genetisch veränderte Osterglocken

Die äusseren Blütenblätter heissen «Krone» und
der innere Trichter «Nebenkrone».
Das Narzissen-Beet steht in voller Blüte. Da gibt es grosse und kleine Osterglocken, früh und spät blühende, solche in Einheitsfarbe und solche mit oranger Nebenkrone oder weisser Hauptkrone. Diese Vielfalt kommt nicht von ungefähr. Meine Grossmutter hat über die Jahrzehnte immer wieder neue Sorten angepflanzt. Jetzt sind es sicher ein halbes Dutzend – soweit ich das als Laie überhaupt beurteilen kann.
Denn von den Osterglocken oder Narzissen gibt es indessen rund dreissigtausend verschiedene Sorten. Dieser Reichtum kommt vor allem davon, dass sich die Narzissen nicht sonderlich um den Artbegriff kümmern. Normalerweise gibt es eine unsichtbare aber unüberwindbare Grenze zwischen zwei Spezies: Sex. Ein Männchen kann nur mit einem Weibchen derselben Art Nachkommen zeugen. Darum sind Spatzen Spatzen und Amseln Amseln und nicht Amstzen.
Die Evolution geht immer noch weiter
im Osterglocken-Beet.
Doch die Narzissen sind so etwas wie die Hippies der Gartenpflanzen. Sie leben die sexuelle Freizügigkeit. Wenn zwei verschiedene Arten die Gelegenheit bekommen, dann kreuzen sie sich breitwillig und bringen sogar gesunde Nachkommen hervor. Es wird vermutet, dass die Narzissen das schon getan haben, lange bevor der Mensch mit der gezielten Züchtung begann. Allein durch den sexuellen Akt sind so in der Natur mehrere neue wilde Arten entstanden. Statt sich also über Jahrmillionen langsam zu verändern, nahmen die Narzissen eine Abkürzung und brachten in nur einer Generation neue Nachkommen hervor, die weder Spatz noch Amsel waren, sondern tatsächlich Amstz.
Mitte des 19. Jahrhunderts haben englische Züchter den freizügigen Charakter dieser Pflanzen erkannt und begannen damit, selbst Hand anzulegen. Über die Jahrzehnte entstanden aus den rund zehn Arten zehntausende von neuen Sorten. So gross war die Vielfalt, dass ein eigenes Einteilungs-System nur für Narzissen eingeführt wurde.
Diese Tatsache stimmt mich nachdenklich, wenn ich so vor dem Osterglocken-Beet stehe. Geht der Prozess der Artbildung noch immer weiter hier direkt vor meiner Nase? Jede Sorte, die einst meine Grossmutter pflanzte, bildet ein eigenes Grüppchen. Doch zwischen ihnen gibt einzelne Pflanzen, die sich nicht so leicht einem Grüppchen zuteilen lassen. Einige Meter entfernt vom Beet stehen zudem ein paar Osterglocken im Rasen. Auch sie weisen Charakterzüge von mehreren Sorten auf. Nicht ganz kleinwüchsig aber auch nicht wirklich gross; nicht früh blühend aber auch nicht sonderlich spät. Vielleicht sind sie das, meine eigenen, unbeabsichtigten Züchtungen. Und vielleicht werden sich diese neuen Formen eines Tages aus meinem Garten stehlen und irgendwo auf einer Wiese ein neues Zuhause finden. Hundert Jahre später entdeckt sie ein Botaniker, der sie als neue Art feiert... (Hätte er doch nur zuerst meinen Blog gelesen.)

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