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Mittwoch, 21. April 2010

Aufstieg der Klone

Eine hochschwangere Urmutter. Die schwarzen
Pünktchen auf ihrem Hinterleib sind die Augen der
ungeborenen Jungen.
Es ist nun Zeit den Blick für einen Moment vom blühenden Garten zu nehmen und in die ferne schweifen zu lassen. Denn was dort passiert, wird weit reichende Konsequenzen für das Ökosystem vor meiner Haustür haben. Genau 250 Meter in nordwestlicher Richtung steht am Waldrand eine Traubenkirsche, die gerade ihre Blätter entfaltet. Und auf ihnen hocken die ersten Getreide-Blattläuse (Rhopalosiphum padi) des Jahres. Sie sind vor einigen Tagen aus ihren Eiern geschlüpft und laben sich nun am Saft der jungen Triebe. Inzwischen sind die Blattläuse zu riesigen Bombern herangewachsen. Sie haben eine wirklich ungewöhnliche Grösse von rund drei Millimetern erreicht.
Das muss so sein, denn diese erste Generation besteht aus Urmüttern, so genannten Fundatrixen. Es sind alles Weibchen und perfekte Gebärmaschinen. Die erwachsenen Tiere bringen alle zwei Stunden ein Junges zur Welt. Das macht 12 Junge pro Tag pro Urmutter oder 84 pro Woche. Die Jungtiere sind ihrerseits bereits schwanger. Das waren sie im Grunde schon im Mutterleib. Und sobald sie ausgewachsen sind – etwa nach einer Woche – beginnen sie selbst damit, ohne Unterlass Kinder auf die Welt zu stellen, die nach einer weiteren Woche auch für Nachwuchs sorgen.
Alle zwei Stunden gebärt sie ein genetisch
identisches Junges.
Diese Bevölkerungsexplosion bewerkstelligen die Blattläuse mit einem Trick. Sie verzichten auf Sex – ja, sie haben die Männer gleich ganz abgeschafft und aus ihrer Gesellschaft verbannt. Die Weibchen besitzen die wunderbare Gabe sich ohne Geschlechtsverkehr fortzupflanzen. Bestimmte Zellen in ihrem Innern entwickeln sich unentwegt zu neuen Nachkommen. Das Besondere an diesen: sie sind alle genetisch identisch. Es sind alles Klone ihrer Mutter.
Aber die Blattläuse können noch viel mehr als das. Bald schon wird es auf der Traubenkirsche sehr eng werden. Die kleinen Insekten müssen also irgendwie runter von diesem Strauch. Das schaffen sie ganz leicht, denn die Nachkommen der Urmutter besitzen Flügel. Die wuchsen ihnen, weil sie einige Gene eingeschaltet haben, die in der Urmutter noch inaktiv waren. Und so ausgerüstet ist es bis zu meinem Garten natürlich nicht mehr weit.
Da scheint ja eine richtige Invasion auf mich zuzukommen. Zwar werden sich die Getreide-Blattläuse vor allem auf den Gräsern meines Rasens niederlassen, doch es gibt noch etliche weitere Arten, die sich an Rosen, Salat, Bohnen und Haselnuss gütlich tun werden. Für fast jede Pflanze im Garten gibt es eine Blattlausart. Eine Katastrophe? Nein. Blattläuse stehen am unteren Ende der Nahrungskette. Das heisst, jedes andere Tier im Garten ernährt sich direkt oder indirekt von ihnen. Sie sind für das Ökosystem des Gartens, was das Plankton für die Meere ist. Ich kann mich also getrost zurücklehnen und zusehen, wie sich Marienkäfer, Florfliegenlarven und Schlupfwespen über die Klon-Armee hermachen.

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