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Samstag, 13. Februar 2010

Ehen mit Scheidungsrate null

An der Gartenmauer steht es geschrieben: Zu zweit
kommt man weiter als alleine.
Vor einigen Tagen nahmen wir am Geburtsvorbereitungskurs teil. Wir waren eines von zehn Pärchen. Mir kam andauernd die Statistik in den Sinn, wonach sich bis in einigen Jahren rund die Hälfte aller Paare trennen. Und das obwohl sie nunmehr einen guten Grund hätten, zusammenzubleiben. Doch der Mensch ist eben eine Spezies, die aus Individualisten besteht. Alles, was man zu zweit machen kann, lässt sich im 21. Jahrhundert auch alleine verwirklichen. Sogar das Kinderkriegen.
Doch in der Natur ist der Einzelkämpfer die Ausnahme. Denn damit die Artenvielfalt funktioniert, braucht es enge und verlässliche Beziehungen innerhalb von Arten und zwischen ihnen. Das eindrücklichste Beispiel dazu wächst an der Mauer neben meiner Einfahrt. Es sind die Flechten. Zugegeben, auf den ersten Blick sind sie etwas unscheinbar. Doch sie enthalten ein Geheimnis. Es ist die Anleitung, wie man eine halbe Milliarde Jahre lang auf dieser Welt überlebt.
Flechten gehörten zu den ersten Land bewohnenden Lebewesen der Erde. Die Wissenschaftler rätseln noch heute darüber, wie genau sie entstanden sind. Es war vielleicht ein ruhiger Samstagabend wie dieser. Auf einem Stein in der Nähe der Küste krallte sich vor 400 Millionen Jahren eine Gruppe einzelliger Algen fest. Sie fanden gerade genug Nährstoffe, um zu überleben. Aber es ging ihnen nicht besonders gut. Jedenfalls nicht gut genug für einen Samstagabend.
Doch dann kam plötzlich eine Pilzspore angeflogen und landete mitten in den Algen. Nun, Pilze denken in der Regel immer zuerst an das Fressen. Doch bei diesem war es anders. Aus irgendeinem Grund folgte er nicht seinem urtümlichen Instinkt. Statt sich über die Algen herzumachen, baute er ein Haus für sie. Seine Pilzfäden wuchsen zu ledrigen Schichten heran. Zwischen ihnen betteten sich die Algen.
Heute haben es die Flechten dank ihres Erfolgsrezepts
auf 25 000 Arten gebracht.
Der Pilz schloss einen Pakt mit ihnen. Sie sollten ihm etwas von ihrem Zucker abgeben, den sie bei der Photosynthese produzierten. Im Gegenzug würde er mithilfe spezieller Säuren, die Oberfläche des Steins aufweichen und einige der freiwerdenden Mineralstoffe an die Algen abtreten. Diese nahmen das Angebot an, denn sie benötigten dingend etwas Dünger, um sich gesund zu entwickeln. So entstand eine enge Symbiose zwischen zwei ganz verschiedenen Arten. Die Flechten waren geboren und der Samstagabend gerettet.
Seit dieser längst vergangenen Zeit sind sich Pilz und Algen treu geblieben. Sie haben die Ehe zu ihrem ganz persönlichen Erfolgsrezept gemacht. Heute gibt es auf der ganzen Welt 25 000 Flechtenarten. Dank der engen Kooperation können sie an Orten überleben, wo es sonst keine Pflanze und kein Tier lange aushält: an den komplett glatten Felswänden des Hochgebirges, auf sonnenverbrannten Pflastersteinen und selbst in der ewigen Kälte der Antarktis. Vielleicht wäre es ein hübscher Brauch, einem frisch verheirateten Paar, einen Stein mit einer Flechte darauf zu schenken. Will heissen: zu zweit kommt man weiter.

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