Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Donnerstag, 1. April 2010

Schneckenhaus-Forensik

Ein Trümmerhaufen von einem Schneckenhaus.
Der Täter lässt sich leicht überführen.
Alle Tiere und Pflanzen sind durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden. Es ist das Nahrungsnetz, welche das ganze Ökosystem zusammenhält. Es zeigt sich nur zu bestimmten Zeiten und entblösst sein Geheimnis nur an wenigen Orten des Gartens. Etwa am Futterhäuschen, wenn sich die Vögel um die Sonnenblumensamen streiten. Oder am Salat, wenn die Schnecken sich über ihn hermachen.
Es gibt auch indirekte Anzeichen für die Gegenwart des Nahrungsnetzes. Sie graben sich für kurze Zeit in die Landschaft ein, bevor sie für immer verschwinden. Leere Schneckenhäuser zum Beispiel. Es ist erstaunlich, wie viele im Augenblick auf meinem Rasen liegen. Ihr massenhaftes Auftreten hat sicher damit zu tun, dass das Gras noch sehr kurz ist und ich es bislang noch nicht für nötig gehalten habe, den Rasenmäher aus der Garage zu holen. Der häckselt nämlich sowohl leere als auch volle Schneckenhäuser bei jedem Einsatz klein.
Die Winterpause hat nun die regelmässige Rasur des Rasens unterbrochen. So konnten sich die Schneckenhäuser über einige Monate frei von Verlusten ansammeln, was erklärt, warum sie so zahlreich sind, jedoch nicht, woher sie kommen. Um das Rätsel zu lösen, bedarf es ein wenig Schneckenhaus-Forensik.
Bei näherem Betrachten lassen sich alle Häuschen in zwei Typen unterteilen: die ganzen und die zertrümmerten. Die letzteren sind dabei nicht einfach dem natürlichen Verwitterungsprozess zum Opfer gefallen, wie man vermuten könnte, sondern es macht den Anschein, als ob sie willkürlich kaputt gemacht wurden. Vor allem, weil die Bruchstücke makellos sind und oft noch ihren ursprünglichen Glanz besitzen. Nun, es gibt in der Tat ein Tier, das bekannt dafür ist, immerzu auf dem Boden rumzuhacken: die Amsel. Ein kurzer Blick auf ihren Speiseplan genügt, um sie als Täterin zu überführen. Sie hat eine besondere Vorliebe für Regenwürmer und Schnecken jeglicher Art.
Die dünne Schale eines Schneckenhauses stellt kein ernsthaftes Problem für sie dar. Ihr kräftiger Schnabel spaltet es entzwei wie eine Auster. Ein Festessen für die Amsel. Das Resultat liegt jetzt auf meinem ungemähten Rasen. Es gewährt mir einen flüchtigen Einblick in das Nahrungsnetz – die unsichtbare Struktur, die das Leben zusammenhält. Denn ohne Schnecken keine Amsel und ohne Amsel niemand, der die Schnecken an ihrer explosionsartigen Vermehrung hindert und daran, dass sie meinen Salat dem Erdboden gleich machen.
Und die Schneckenhäuser, die nicht zertrümmert wurden? Na ja, vielleicht sind die einfach an Altersschwäche gestorben. Das soll es im Tierreich ja auch geben.

Hier geht es zur Schneckenhaus-Diaschau

Sonntag, 21. März 2010

Brummer tankt auf

Den Hintern in die Sonne, den Kopf in die
Nektardrüsen. Eine Hummelkönigin tankt auf.
Die erste Hummelkönigin schleppt sich heute sich über das Meer von offenen Krokusblüten. «Schleppen» ist der richtige Ausdruck, denn zum Fliegen ist sie sich selbst zu schwer. Wenn sie mit einer Blüte fertig ist, dann angelt sie sich einfach zur nächsten Weiter. Sicher ist das viel energiesparender, aber wie eine Königin sieht sie dabei nicht aus. Sie kommt vermutlich gerade aus ihrem Winterquartier und ist noch etwas steif in den Flügeln.
Vor ihr liegt eine grosse Aufgabe. Sie muss einen neuen Staat gründen. Doch dazu benötigt sie viel Kraft. Die holt sie sich vom Nektar der Krokusblüten. Doch für die zierlichen Gebilde ist der dicke, haarige Körper schon fast zu gross. Vor allem ihr andauerndes Strampeln setzt den hübsch bemalten Blütenblättern zu.
Sie strampelt und deformiert die Blüten dabei arg.
Zu allem Übel befinden sich die Nektardrüsen am untersten Ende der Blüte. Die Hummelkönigin streckt mit allen sechs Beinen rudernd ihren Kopf in diese Richtung. Wenn es nicht mehr weitergeht, weil die Dame einfach zu dick ist, fährt sie ihre lange Zunge aus bis sie endlich ihre Malzeit bekommt.
Der Blüte kann das indes nur recht sein, denn ihre Staublätter bepudern während des ungestümen Besuchs den haarigen Bauch der Königin mit Pollen. So bekommt jeder, was er will. Für die Hummelkönigin ist das vermutlich die unbeschwerteste Zeit ihres Lebens. Was danach kommt, ist der pure Stress: einen geeigneten Nistplatz suchen. Dabei prüft sie jedes verlassene Mausloch, jedes Gestrüpp, jeden leeren Blumentopf. Wenn es jetzt noch etwas wärmer wird, patrouillieren die Jungköniginnen bald zu Dutzenden durch den Garten.
Studien aus England haben gezeigt, dass sie sich dabei vor allem in unordentlichen Gärten niederlassen. Denn dort gibt es besonders viele Strukturen wie Hecken, ungeschnittenes Gras oder Asthaufen. Für Hummeln ein Paradies. Lohnen sich solche Untermieter überhaupt? Ja natürlich. Hummeln sind gute Bestäuber, die schon bei kalten sechs Grad Celsius ihre Arbeit aufnehmen, sprich die Tomaten bestäuben. Sie fliegen noch, wenn Bienen bereits frierend in ihrem Stock sitzen.

Montag, 15. März 2010

Pfefferspray auf dem Fensterbrett

Draussen liegt Schnee, drinnen
blüht meine Chili-Pflanze.
Über den Winter habe ich einige Chili-Pflanzen auf dem Fensterbrett angezogen. Sie gehören zu einer Zwergsorte der Spezies Capsicum frutescens. Der Lohn meiner ständigen Besorgnis um das Wohl der kleinen Pflänzchen kam letzte Woche. Die erste Blüte öffnete sich. Sie sieht wunderschön aus. Vor allem, wenn man sie von ganz nah betrachtet. Die weissen Blütenblätter sind nur wenige Zellen dick. In jeder einzelnen von ihnen bricht sich das Sonnenlicht und es sieht aus wie die glitzernde Oberfläche des Schnees an einem kalten Wintermorgen.
Ganz wichtig bei Chilis, die im Haus blühen, ist die Nachhilfe bei der Bestäubung. Das übernehmen normalerweise die Insekten, aber in der sterilen Umgebung eines Wohnzimmers oder Büros können die sehr rar sein. Zur Bestäubung reicht es in der Regel, die Pflanzen etwas zu schütteln. Wer sicher gehen möchte, so wie ich, der nimmt den Zeigefinger und fährt damit sanft über Staubblätter und Stempel. So landet der Pollen zuverlässig auf der Narbe und die Befruchtung kann ihren Lauf nehmen. Wenn man dabei von Freunden oder Verwandten ertappt wird, sagt man einfach: «Ich habe gerade Sex mit meiner Zimmerpflanze. Dürfte ich bitte um etwas Privatsphäre bitten.»
Die Blütenblätter sind so dünn, dass jede
einzelne Zelle als glitzernder Punkt sichtbar ist.
Einige Tage nach der Befruchtung fallen die Blütenblätter ab und die Schote beginnt zu wachsen. In ihr bildet sich eine sehr interessante Chemikalie, das Capsaicin. Es gibt der Schote ihre Schärfe und ist derselbe Stoff, der auch in Pfeffersprays verwendet wird. Jetzt die grosse Preisfrage: Warum pumpt eine Pflanze ihre Früchte mit einer Substanz voll, welche sie ungeniessbar machen?
Nicht ganz ungeniessbar, lautet die Antwort. Denn beim Konsum von Capsaicin verschlägt es ausschliesslich Säugetieren den Atem. Nicht aber Vögeln. Die spüren gar nichts. Für sie sind Chili-Schoten ein Festessen. Darum färben die Pflanzen ihre reifen Früchte so schön rot, weil das die Lieblingsfarbe der Vögel ist.
Das Capsaicin dient aber nicht dazu, Säugetiere vom Bankett abzuhalten. Vielmehr ist es eine Abwehr gegen Fusarien. Das sind Pilze, die es auf Chili-Samen abgesehen haben. In der ursprünglichen Heimat der Chilis, Mittelamerika, sind sie weit verbreitet. Darum begannen sich die Pflanzen im Laufe der Evolution gegen diese Räuber zu wehren, indem sie immer mehr Capsaicin produzierten. Es hindert die Pilze am Wachstum. Das ist auch der Grund, warum mit Chili versetze Speisen länger frisch bleiben.

Mittwoch, 10. März 2010

Expedition zum Plateau-Berg

Das gigantische Moospolster: Hier wird eines Tages ein
Nationalpark entstehen.
Vier geschlagene Minuten wanderte ich durch eine schier endlose Eiswüste. Quadratmeter für Quadratmeter nichts als eine blendend weisse Fläche aus windgepeitschtem Schnee. Die Kälte biss sich in meine blossen Hände fest, während ich mich Zentimeter für Zentimeter voranquälte. Es wäre nicht weit bis zur nächsten heissen Schokolade gewesen; doch wer einmal hier draussen unterwegs war, kann sich nicht ohne weiteres vom Anblick dieser Wildnis losreissen.
In der fünften Minute begann das Gelände leicht anzusteigen. Ich nahm den Blick vom Boden und sah in der Ferne, einen ganzen Meter weit weg, einen Plateau-Berg aufsteigen. Seine Seitenwände fielen steil ab. Deshalb konnte sich dort der Schnee nicht festsetzen. Zum ersten Mal seit langem bekam ich etwas Grünes zu Gesicht. Dreissig Sekunden später konnte ich sogar ausmachen, was es war: ein riesiges Moospolster.
Das war die Entdeckung des Tages. Wie lange mochte es dieser Eiszeit schon trotzen? Einen Tag, zwei Tage, eine ganze Woche? Vermutlich hatte es sich im Laufe der Zeit zu einer einzigartigen Spezies entwickelt, die es nirgendwo sonst auf der Erde gab. Eine Probe davon würde mich als Entdecker berühmt machen. Mein Name würde in einer Reihe mit Cook, Humboldt und Kolumbus genannt werden. Der Mann, der das gigantische Moospolster gefunden hat. Sicher gäbe das auch einen hübschen Eintrag in Wikipedia (unter Bieri).
Der Krokus beschleunigt mit seinen Blättern
das Ende der Eiszeit.
Beim Abstieg über die Südseite kam ich an einer Serie von Schneelöchern vorbei. Aus jedem spross ein Krokus. Das Abschmelzen des Schnees wurde vermutlich durch die dunkelgrüne Farbe der Blätter beschleunigt, da sie sich in der Sonne erwärmten und wie kleine Öfen wirkten. Das werde ich in meinem Expeditionsbericht zuhanden der Royal Society sicher in einer Fussnote erwähnen.

Mittwoch, 3. März 2010

Feuer frei!

Der Bärlauch wächst einen
Zentimeter pro Tag.
Es ist ein Schauspiel, das es im tropischen Regenwald nicht zu sehen gibt: Das Frühlingserwachen der Natur. Die starken Föhnwinde haben inzwischen den letzten Rest Schnee im Garten verflüssigt und so das Feld für die Blumen frei gemacht. Die lassen nicht lange auf sich warten. Ich muss nun aufpassen, wohin ich trete. Einmal unvorsichtig und meine Schuhe walzen die zarten Blattspitzen gleich zu Dutzenden platt. Wo vorher nur trockenes Moos war, spriessen jetzt Hyazinthen und Osterglocken in solchen Mengen, als hätte ein unsichtbarer Gärtner die ganze letzte Nacht hier gewütet.
Natürlich ist der Gärtner die Natur selbst. Zu keiner anderen Jahrszeit geht sie mit einer so wahnwitzigen Geschwindigkeit zu Werke wie im Frühling. Am meisten erstaunt mich der Bärlauch, der noch vor einer Woche eine Handbreit in der Erde steckte. Jetzt streckt er bereits seine ersten Blätter in die wärmende Sonne. Das ergibt ein Längenwachstum von einem Zentimeter pro Tag! Und zwischen dem spriessenden Dschungel geht bereits die erste Feuerwanze auf Futtersuche. Oder vielleicht hält sie auch schon nach einem geeigneten Partner Ausschau.
Vorsicht Krokusse!
Jeder Quadratzentimeter ist voll von ihnen.

Die Krokusse sind sicher die filigransten Frühaufsteher. Ihre Blätter sehen aus wie Tannen-Nadeln, die zu einem dichten Bündel geschnürt sind. Das gibt ihnen eine Stromlinienform, mit der es sich besser aus der Erde und durch das dichte Moos stossen lässt. Sobald sie draussen sind, öffnen sie sich zu allen Seiten um der nachfolgenden Blüte Platz zu machen.
Nach demselben Prinzip gehen auch die Osterglocken vor.
Die letzten Erdkrümel haften noch
an der Speerspitze der Osterglocke.
Alle Blätter sind nach oben gefaltet und bilden eine richtige Lanze, mit der sie von unten das Erdreich durchbohren. Das muss wahre Knochenarbeit sein, zumal an einigen Sprösslingen noch Reste von Erde kleben. Und was lernen wir daraus? Wenn man es nach ganz oben schaffen will, muss man seine Kräfte bündeln und auf ein einziges Ziel hinarbeiten. (Oder vielleicht: Hat man Dreck am Stecken, dann ist das nur ein Zeichen dafür, dass man sehr hart für den Erfolg gearbeitet hat.)


Link zur Bildergalerie «Frühlingserwachen»

Mittwoch, 24. Februar 2010

Frühlingserwachen unter der Erde

In der feuchten Erde sputen sich
die Bärlauch-Zehen, ihre
Blätter an die Sonne zu kriegen.
Im Garten liegt der Schnee immer noch dreissig Zentimeter tief. Doch unter dem Eis hat der Frühling bereits begonnen. Als ich mich mit einem Spaten durch den Winter grabe und in den flachgedrückten Rasen steche, fühlt sich der Boden weich an. In der braunen Scholle treffe ich auf unzählige längliche Zehen. An ihrem oberen Ende wächst ein Spross, der sich einen Weg durch die dunkle Erde nach oben ans Licht bahnt. Es wird sicher keine zwei Wochen mehr dauern, bis mehrere Tausend dieser Triebspitzen meinen Rasen von unten durchlöchern.
Der Bärlauch ist erwacht. Er kommt früher in die Gänge als alle anderen Pflanzen des Gartens. Nicht ohne Absicht, versteht sich. Würde er nämlich erst im Mai oder Juni aus dem Boden gekrochen kommen, wäre die Situation aussichtslos für ihn. Alle anderen Pflanzen haben dann bereits ihre Blätter entfaltet und sind in die Höhe geschossen. Der kleine Bärlauch würde im Schatten seiner Nachbarn verkümmern.
Als Frühaufsteher hat er jedoch gute Karten. Bald werden sich seine Blätter entfalten und ihm einen exklusiven Platz an der Sonne sichern. Währenddessen verschläft seine Konkurrenz den Vorfrühling komplett. Dem Löwenzahn zum Beispiel ist es unter dem Schnee nicht ums Wachsen. Dazu braucht er Sonne und Wärme. Doch beides ist im Augenblick noch Mangelware. Anders der Holunderstrauch. Er hat es einfach nicht nötig, sich zu beeilen. Dank seiner Grösse und Schnellwüchsigkeit überflügelt er die meisten anderen Pflanzen des Gartens. Mit dem Öffnen seiner Knospen kann er sich also Zeit lassen.
Zeit – das ist das Schlüsselprinzip für den Erfolg des Bärlauchs. Woher weiss er, wann die richtige Zeit gekommen ist, um eine Handbreit unter der Erde mit wachsen zu beginnen? Die Antwort ist: Er weiss es nicht. Er muss es nicht wissen, weil er selbst die Zeit ist. Im Erbgut jeder Pflanze gibt es Gene, die wie eine innere Uhr funktionieren. Sie sagen den Zellen, wann der Frühling vor der Tür steht und wann sie beginnen müssen, sich zu teilen. Dabei sind die Uhren aller Bärlauch-Zehen im Garten miteinander synchronisiert. Egal wo im Garten ich grabe, überall sind die Sprosse rund einen Zentimeter lang. So nimmt in der Stille der letzten Wintertage eine lautlose und unsichtbare Mobilmachung ihren Lauf.

Sonntag, 21. Februar 2010

Jeder Garten ist eine Insel

Im Garten gibt es mehr Arten, als man
auf den ersten Blick sieht. Spuren im Schnee
sind verräterische Hinweise.
Die Spuren im Schnee haben Katze und Fuchs verraten. Dort wo im Sommer der Kräutergarten wächst, haben sie zusammen in den letzten paar Tagen zwei Dutzend Fährten hinterlassen. Ein richtiges Chaos an Pfoten- und Tatzenabdrücken. Sie illustrieren sehr deutlich dass es auf jedem Fleck Erde und in jeder Parzelle mehr Arten gibt, als man auf den ersten Blick sieht. Warum? Weil sich Tier- und Pflanzenarten immerzu bewegen.
Der Fuchs kommt vielleicht nur einmal pro Tag, um seine Runde im Kräutergarten zu drehen. Vielleicht ist das um 06.00 Uhr am Morgen oder um 23.00 Uhr in der Nacht. Doch der Biologe, der die Artenvielfalt in meinem Garten erfassen möchte, ist leider nur zwischen 15.00 und 16.00 Uhr anwesend. Der Fuchs taucht in seinem Bericht nicht auf. Das gleiche gilt für Pflanzen. Die Samen von Wiesenblumen können Jahre im Boden schlummern, ohne dass man die Pflanzen je zu Gesicht bekommen würde. Und plötzlich, wenn alle Umweltbedingungen perfekt sind, keimen sie und zeigen sich der Welt.

Fuchs und Katze brauchen kein
Treibgut, um in den Garten zu
gelangen. Eine Lücke in der
Hecke reicht.
Noch extremer ist das Beispiel der Waldföhre. In meinem Garten gibt es jetzt noch genau ein Exemplar. Wird es vom Blitz getroffen oder vom Gärtner gefällt, ist die Art im Mikrokosmos meines Gartens ausgestorben. Das heisst jedoch nicht, dass ich die Föhre deswegen unter Schutz stellen müsste. Denn ich kann mich darauf verlassen, dass vom nahen Wald irgendwann ein Samen herüberweht und in einigen Jahren zu einem neuen stattlichen Baum heranwächst.
Dass Arten in einem Gebiet plötzlich auftauchen und ebenso plötzlich wieder verschwinden, haben Forscher zuerst auf Inseln beobachtet. In den 60er Jahren haben die beiden Biologen Edward O. Wilson und Robert MacArthur daraus die «Theorie der Inselbiogeographie» formuliert.
Demnach gibt es auf jeder Insel eine ideale Anzahl von Arten. Einige von ihnen können lokal aussterben (wie meine Föhre) andere können neu hinzukommen (wie der Fuchs), etwa indem sie auf einem Stück Treibgut an den Strand geschwemmt werden. Langfristig stellt sich so ein Gleichgewicht zwischen Ankunft und Abreise ein.
Viele Biologen liessen sich von diesem Prinzip schon an der Nase herumführen. Die Riesen-Rappenantilope in Angola etwa ist eine sehr scheue Art. 1982 hat man sie zuletzt gesehen. Danach galt sie als ausgestorben. Doch Jahrzehnte später findet ein deutscher Forscher frischen Antilopen-Kot, der nach genetischen Analysen eindeutig von der Riesen-Rappenantilope stammte. Sie ist also immer noch unter uns – die Frage ist nur wo und wann.

Mehr zu unausgestorbenen Arten

Samstag, 13. Februar 2010

Ehen mit Scheidungsrate null

An der Gartenmauer steht es geschrieben: Zu zweit
kommt man weiter als alleine.
Vor einigen Tagen nahmen wir am Geburtsvorbereitungskurs teil. Wir waren eines von zehn Pärchen. Mir kam andauernd die Statistik in den Sinn, wonach sich bis in einigen Jahren rund die Hälfte aller Paare trennen. Und das obwohl sie nunmehr einen guten Grund hätten, zusammenzubleiben. Doch der Mensch ist eben eine Spezies, die aus Individualisten besteht. Alles, was man zu zweit machen kann, lässt sich im 21. Jahrhundert auch alleine verwirklichen. Sogar das Kinderkriegen.
Doch in der Natur ist der Einzelkämpfer die Ausnahme. Denn damit die Artenvielfalt funktioniert, braucht es enge und verlässliche Beziehungen innerhalb von Arten und zwischen ihnen. Das eindrücklichste Beispiel dazu wächst an der Mauer neben meiner Einfahrt. Es sind die Flechten. Zugegeben, auf den ersten Blick sind sie etwas unscheinbar. Doch sie enthalten ein Geheimnis. Es ist die Anleitung, wie man eine halbe Milliarde Jahre lang auf dieser Welt überlebt.
Flechten gehörten zu den ersten Land bewohnenden Lebewesen der Erde. Die Wissenschaftler rätseln noch heute darüber, wie genau sie entstanden sind. Es war vielleicht ein ruhiger Samstagabend wie dieser. Auf einem Stein in der Nähe der Küste krallte sich vor 400 Millionen Jahren eine Gruppe einzelliger Algen fest. Sie fanden gerade genug Nährstoffe, um zu überleben. Aber es ging ihnen nicht besonders gut. Jedenfalls nicht gut genug für einen Samstagabend.
Doch dann kam plötzlich eine Pilzspore angeflogen und landete mitten in den Algen. Nun, Pilze denken in der Regel immer zuerst an das Fressen. Doch bei diesem war es anders. Aus irgendeinem Grund folgte er nicht seinem urtümlichen Instinkt. Statt sich über die Algen herzumachen, baute er ein Haus für sie. Seine Pilzfäden wuchsen zu ledrigen Schichten heran. Zwischen ihnen betteten sich die Algen.
Heute haben es die Flechten dank ihres Erfolgsrezepts
auf 25 000 Arten gebracht.
Der Pilz schloss einen Pakt mit ihnen. Sie sollten ihm etwas von ihrem Zucker abgeben, den sie bei der Photosynthese produzierten. Im Gegenzug würde er mithilfe spezieller Säuren, die Oberfläche des Steins aufweichen und einige der freiwerdenden Mineralstoffe an die Algen abtreten. Diese nahmen das Angebot an, denn sie benötigten dingend etwas Dünger, um sich gesund zu entwickeln. So entstand eine enge Symbiose zwischen zwei ganz verschiedenen Arten. Die Flechten waren geboren und der Samstagabend gerettet.
Seit dieser längst vergangenen Zeit sind sich Pilz und Algen treu geblieben. Sie haben die Ehe zu ihrem ganz persönlichen Erfolgsrezept gemacht. Heute gibt es auf der ganzen Welt 25 000 Flechtenarten. Dank der engen Kooperation können sie an Orten überleben, wo es sonst keine Pflanze und kein Tier lange aushält: an den komplett glatten Felswänden des Hochgebirges, auf sonnenverbrannten Pflastersteinen und selbst in der ewigen Kälte der Antarktis. Vielleicht wäre es ein hübscher Brauch, einem frisch verheirateten Paar, einen Stein mit einer Flechte darauf zu schenken. Will heissen: zu zweit kommt man weiter.
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