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Dienstag, 7. Juni 2011

Lust auf Fleisch

Das schwimmt der Julikäfer, der letzte Woche noch fröhlich
über meinen Rasen schwirrte.
Früher, als noch echte Wanderer und Landstreicher durch Europa zogen, brauchte man sich über den nächsten Schluck Wasser keine Gedanken zu machen. Allenthalben wuchsen Karden an den Wegrändern, Äckern und Böschungen. Die Landwirtschaft nahm es zu jener Zeit noch viel gemütlicher als heute, setzte weniger Dünger ein und Pestizide gab es auch noch keine. Ideale Bedingungen für Unkräuter wie die Karde eben.
Diese Pflanze hat die Besonderheit, dass ihre Blätter immer paarweise aus dem Stengel wachsen. An ihrem Grund bilden sie eine Art Schale, in der sich das Regenwasser sammelt. Wenn also der Durst über den Wanderer kommt, braucht er seinen Mund nur an dieses Reservoir zu führen und die Karde dabei etwas vorzuneigen.
In meinem Garten wachsen auch einige dieser eigentümlichen Pflanzen und ich wollte mich testweise an ihrem Wasserspeicher erfrischen. Doch als ich sah, was sich da alles in diesen kleinen Pfützen tummelt, ist mir der Durst vergangen. Praktisch in allen Schalen gibt es eine Ansammlung von toten Insekten. Da liegen die Leichen von den Julikäfern, den Mücken, den Rüsselkäfern und den Blattläusen. In einer strampelte eine Schlupfwespe um ihr Leben, doch sie war hoffnungslos verloren. Der Stiel, an dem sie sich hätte halten können, war viel zu rutschig.
In wenigen Wochen werden die Karden
einen solchen Blütenstand bilden. Und
bald darauf produziert sie Hunderte
von Samen. Das ist wohl auch ein
Grund, warum Bauern heute keine
grosse Freude mehr an diesen
Pflanzen haben.
In mancher Schale gab es sogar schon wieder neues Leben. Kleine Würmer ernährten sich von den hineingefallenen Insekten. Nein, dieses Wasser kann man beim besten Willen nicht trinken. Vielleicht hatten die Wanderer früher nichts anderes und waren in der Sommerhitze dankbar für jeden Tropfen Flüssigkeit.
Aber was bezweckt die Karde damit? Ist es etwa ihre Absicht, so viele tote Insekten auf ihren Blättern anzusammeln? Vielleicht. Tote Insekten sind eine andere Form von Dünger. Es könnte sein, dass die Karde einige der Nährstoffe in diesen Verwesungspfützen über ihre Blätter aufnimmt. Die extra Portion Dünger könnte sie gut gebrauchen, wächst sie doch bevorzugt an nährstoffarmen Standorten. Vielleicht ist es einer ihrer Tricks, wie sie es schafft, dort trotzdem gut zu gedeihen.
Die Karde ist möglicherweise gerade dabei, eine echte fleischfressende Pflanze zu werden. Die berühmten Kannenpflanzen von Borneo bilden spezielle Blätter, die aussehen wie Töpfchen. In ihnen befindet sich neben Wasser auch noch Verdauungsenzyme, die der Pflanze helfen, die Insekten zu zersetzen. Genau das mag der nächste Entwicklungsschritt in der Evolution der Karde sein – wenn ihre Lust auf Fleisch gross genug ist.

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