Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Mittwoch, 30. Mai 2012

Ersatzspieler

Die Raupen des Kleinen Fuchses besitzen einen
tödlichen Appetit.
Brennesseln sind von allen Gartenpflanzen am schwersten bewaffnet. Jeder Quadratzentimeter von ihnen ist mit Dutzenden von Brennhaaren bewachsen, aus denen sie bei der kleinsten Berührung Ameisensäure versprühen. Die Raupen des Kleinen Fuchses stört das jedoch nicht im Geringsten. Sie fressen sich gerade munter quer durch die sattgrünen Blätter. Dabei nagen sie jedes einzelne von ihnen fein säuberlich bis auf den Stiel ab. Für die Brennessel ist das so, wie wenn ihr jemand den Strom abstellen würde, denn die Blätter stellen die Energiefabriken der Pflanzen dar. Doch so leicht gibt sie nicht klein bei. Sie wird schon seit vielen hunderttausend Jahren von Frassinsekten traktiert und hat inzwischen dazugelernt. Während ihres Wachstums legt sie jedes Blatt gleich mehrmals an. Aus jedem Stielansatz spriessen bereits zu Friedenszeiten winzige Blättchen. Sie sind eine Art Ersatzspieler. Unter normalen Bedingungen, wenn die Brennessel nicht angeknabbert wird, bleiben sie klein und unscheinbar. Sobald jedoch jemand die Hauptblätter durchlöchert, beginnen sie zu wachsen.
Sie können die ganze Pflanze
kahl fressen. Doch der Brennessel
macht das Dank ihren Stammzellen
nichts aus.
Allerdings hilft das wenig gegen den tödlichen Appetit der Schmetterlingsraupen. Diese fressen im Nu auch die Ersatzblätter kahl bis von der Brennessel nur noch ein Skelett aus Stängeln übrig bleibt. Was tut die nackte Pflanze? Sie ruft den Ersatz des Ersatzes auf den Plan und lässt neue Blätter spriessen. Das kann sie beliebig oft wiederholen, so lange bis sich die Raupen verpuppen und keine Gefahr mehr darstellen. Das Geheimnis der unverwüstlichen Brennesseln liegt am Ansatz des Blattstiels. Dort befinden sich pflanzliche Stammzellen, das so genannte Meristem. Es ist unsterblich und kann nach Belieben alle möglichen Pflanzenteile immer wieder reproduzieren. Es ist ihr persönlicher Jungbrunnen, mit dem sie auch die schlimmsten Plagen übersteht.

Donnerstag, 17. Mai 2012

Das globale Kräutersäckchen


Das Kräutersäckchen aus dem Supermarkt auch bekannt
als Schwarztee.
Mein linkes Augenlied hat sich entzündet. Vor hundert Jahren hätte mir der Augenarzt eine Liste mit Kräuternamen gegeben. Die Kräuter hätte ich dann in meinem Garten gepflückt und daraus einen Heilsud gebraut. Na ja, die Zeiten sind vorbei. Heute gibt es eine kleine Tube voll Antibiotikum. Ein Tropfen dreimal am Tag für eine Woche und die Entzündung ist weg.
Ich wollte schon gehen, da holte der Augenarzt nochmals Luft (er war von Bern) und sagte, dass ich unterstützend mit Schwarztee behandeln könne. Das geht wie folgt: Der Teebeutel wird mit heissem Wasser aufgebrüht und zwischen 2 und 30 Minuten ziehen gelassen. Beutel raus nehmen und etwas abkühlen lassen («Suscht chömet er denn mit eme verbrännte Aug zu mer»). Den kalten Beutel anschliessend fünf bis fünfzehn Minuten direkt auf das entzündete Lied legen.
Die Besinnung moderner Ärzte auf alte Kräuterkünste kommt nicht von ungefähr. 2009 hat der deutsche Arzt Georg Gallenkemper eine ausführliche Studie zur Heilwirkung von Tee veröffentlicht. Darin konnte er zeigen, dass Schwarzteeumschläge zu einem schnellen Abklingen von Ekzemen und anderen Hautreizungen führte.
Erst abkühlen lassen, dann auf's Auge drücken. 
Die heilende Wirkung stammt unter anderem von den so genannten Flavonoiden. Das sind chemische Verbindungen, mit denen sich Pflanzen selber vor schädlichen Umwelteinflüssen wie UV-Strahlung oder Bakterienkrankheiten schützen. Zudem sind Flavonoide schmerzstillend, was den Teebeutel auch bei Insektenstichen auf den Plan ruft.
Früher lieferten uns die Gärten zu jedem Leiden ein Kraut. Heute sind wir immerhin bereits wieder soweit, dass wir uns den abgekochten Schwarzteebeutel vor der Entsorgung kurz noch auf das Auge drücken. Vielleicht ist dieses globale Kräutersäckchen der Wegbereiter für die Rückkehr der Heilpflanzen in unsere Gärten.

Download der Studie von Georg Gallenkemper als PDF

Montag, 7. Mai 2012

Das Schweigen der Küken


Jetzt betteln die Jungen bereits, obwohl sie den Altvogel
noch gar nicht erblickt haben. Reagieren sie auf die
Kratzgeräusche der scharfen Kleiber-Krallen?
In meinem Garten brütet ein Kleiber-Pärchen. Es hat alle Schnäbel voll zu tun mit dem Heranschaffen von Käferlarven und Raupen. Alle paar Minuten landet ein Elternteil auf dem Baumstamm, hüpft dann auf das Dach des Nistkastens und huscht dann flink durch das Loch zu den Küken hinein. Einige Sekunden später ist das Futter verteilt und der Kleiber schiesst nach einigen kurzen Kontrollblicken pfeilschnell aus dem Häuschen heraus.
Während der ganzen Aktion geben sich die Küken keineswegs als passive Zuschauer. Sobald ein Altvogel auf dem Dach des Häuschens landet, lassen sie eine Salve von Bettelrufen los. Das erregte Piepsen hört erst wieder auf, nachdem die Schnäbel gestopft sind und die Mutter oder der Vater längst wieder auf dem Beschaffungsflug sind.
Das Ziel der Bettelrufe ist ein sehr egoistisches. Die Eltern füttern am eifrigsten bettelnde Junge zuerst. Eine laute Klappe zu haben ist also für einen Jungvogel überlebenswichtig. Aber es ist auch gefährlich. Wenn nämlich ein Marder oder eine Katze am Nistkasten kratzt, können verräterische Bettelrufe das Schicksal einer ganzen Brut besiegeln. Darum betteln die Jungvögel nur dann, wenn sie die typischen Laute ihrer Eltern wahrnehmen. Was das allerdings bei Kleibern sein könnte, ist mir ein Rätsel. Denn die Eltern verrichten ihre Arbeit ohne je einen Pieps von sich zu geben.
Nach einigen Sekunden guckt er kurz kritisch in die Runde,
dann schiesst er davon, um neue Käferlarven heranzuschaffen.
Vielleicht reagieren sie auf die Vibrationen der flatternden Flügel? Ich mache einen Test und lege mein auf stumm geschaltetes Handy auf das Dach und rufe mit einem zweiten Handy darauf an. Es vibriert, aber die jungen Kleiber im Nest sind mucksmäuschenstill. Reagieren sie etwa auf die Kratzgeräusche der Krallen ihrer Eltern? Ich ziehe meine Fingernägel vorsichtig über das Dach. Keine Reaktion. Die Jungvögel lassen sich nicht täuschen. Offenbar hat sich im Laufe der Evolution eine Art Geheimsprache zwischen Eltern und Jungen entwickelt. Dass ich und vor allem der Marder sie nicht entschlüsseln können, sichert ihnen das Überleben.
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