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Mittwoch, 11. März 2015

Darwin und die Baumhühner

Das braune und das schwarze Huhn übernachten
drei Meter über Boden. Vor dem Fuchs sind sie
auf diese Weise sicher.
Nachdem der Fuchs letzten Sommer unsere vier Zwerghühner vertilgt hatte, kauften wir uns Ersatz. Dieses Mal drei Hybrid-Hühner und einen Hahn der Sorte Wyandotte. Letztere sind etwas kleiner als Hybriden aber dennoch nicht so klein wie Zwerghühner.
Hybridhühner ihrerseits sind das, was man gemeinhin unter Legemaschinen versteht. So ein Huhn schafft bei richtiger Fütterung fast ein Ei pro Tag oder etwa sechs Eier pro Woche. Diese Sorten können das, weil sie während Jahrzehnten auf Legeleistung hingezüchtet wurden.
Trotzdem habe ich bis heute kein einziges Ei von ihnen gesehen. Wir kauften die neuen Hühner mit 17 Wochen. Das entspricht verglichen mit uns Menschen ungefähr dem Teenager-Alter. Eier legen sie dann noch nicht. Das machen sie erst mit 20 oder 25 Wochen. Die Monate strichen ins Land und ich fütterte fleissig Körnerfutter und Kalk. Doch nichts ausser Hühnerkacke kam bei den Federtieren hinten raus.
Aus Sommer wurde Herbst und aus ihm schliesslich der Winter. Ich begann, mich bei anderen Hühnerhaltern umzuhören. Im Winter gehe die Legeleistung allgemein zurück. Die Tiere bräuchten ihre Energie für die Produktion von Körperwärme. Also bis auf weiteres keine Eier.
Meine wohlgenährten Hühner gingen immer bei Dämmerung selbständig ins Häuschen. Ein durch einen Lichtsensor gesteuerter Motor schloss die Schiebetüre, sobald es ganz Nacht wurde. Auch wenn sie keine Eier legten, intelligent waren die Tiere allemal. Das muss man ihnen lassen.
Doch eines Abends hatten die Tiere offenbar einen akuten Anfall der Dummheit. Als ich nach Sonnenuntergang einen Kontrollblick ins Häuschen warf, erblickte ich darin nur das braune und das schwarze Huhn. Das weisse Huhn und der Hahn fehlten. Aus irgendeinem Grund sind die nicht bei Zeiten ins Häuschen. Ich suchte den Garten ab, fand sie jedoch nirgends. Am nächsten Morgen sahen wir das, was wir sehen mussten: zwei Haufen mit Federn. Der Fuchs hat sich die dummen Hühner geschnappt.
Braun und Schwarz mieden fortan das Hühnerhaus ebenso. Offenbar trauten sie seiner schützenden Wirkung nicht mehr. Doch statt irgendwo auf dem Boden zu übernachten wie ihre dahingeschiedenen Freunde, setzten sie sich Abend für Abend auf den Ast einer Tanne drei Meter über Boden. Der Ast ist so hoch und so unzugänglich, dass es kein Fuchs jemals dorthin schaffen wird. Seither sagt mein 4-jähriger Sohn ihnen nur noch «wilde Hühner» oder «Baumhühner».
Der ganze Vorgang liess uns Zeuge des evolutionären Prozesses werden, so wie ihn sich Charles Darwin vorgestellt hat. Die Schwachen oder Dummen werden von den Jägern gefressen, während sich die Schlauen dem Einfluss der Jäger entziehen. Auf diese Weise hat sich die Hühnerpopulation in meinem Garten erfolgreich an ein Leben ausserhalb des schützenden Häuschens angepasst.
Lange Zeit wusste ich nicht, wie die Tiere auf den Baum kommen. Bis ich sie heimlich
bei ihrem Aufstieg filmte.

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