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Freitag, 27. Juli 2012

Die Senfölbombe

Die Blüten der Kapuzinerkresse enfachen im Mund...
Eines der interessantesten Geschmackserlebnisse im Garten bieten derzeit die Blüten der Kapuzinerkresse. Wer sie als ganzes isst, erlebt ein wahres Orchester auf Zunge und Gaumen. Es beginnt ganz leise. Die papierartige Oberfläche der Blüten saugt den Speichel auf, als ob das Orchester inne anhalten würde. Alle Geigen schweigen. Die ersten beiden Kaubewegungen geben den Takt and und dann ergiesst sich eine wunderbar sanfte Süsse in den Mundraum. Die Nektardrüsen sind ausgelaufen. Die Zuckermenge ist jedoch sehr klein und darum verschwindet der süsse Ton gleich wieder.
Für einen winzigen Augenblick herrscht erneut absolute Stille – und dann bricht aus dem Nichts ein heisser Sturm über die Zunge herein. Nun tobt das Orchester, als ob es den «Ritt der Walküren» gleichzeitig vorwärts und rückwärts spielen würde. Das Feuer brennt in jedem Winkel und nach ein paar weiteren Kaubewegungen erreicht es den Eingang zu den Nasenhöhlen. Eine Katastrophe droht, doch in letzter Sekunde bereitet eine unwillkürlich eintretende Schluckbewegung dem ganzen Spektakel ein Ende. Zurück bleibt ein wohliges Brennen, wie nach einem Menthol-Bonbon.
...ein wahres Feuerwerk an Geschmacksempfindungen.
Was wir als Gaumenfreude betrachten, ist für die Kapuzinerkresse bitterer Ernst. Die Schärfe rührt von einem genialen Abwehrsystem her. Mit ihm wollen die Pflanzen verhindern, dass sie von Raupen, Heuschrecken, Pilzen oder anderen Fressfeinden verzehrt werden. Es ist eine chemische Verteidigung, die für uns Menschen allerdings viel zu schwach ist.
Ihr Grundprinzip funktioniert so: In den Zellen der Blüten, des Stengels und der Blätter befinden sich zwei Chemikalien, die Myrosinase und das Glucosinolat. Letzteres ist eine Art kastrierter Kampfstoff. Es fehlen ihm einige Wasserstoffatome. Die sind jedoch so wichtig, dass das Glucosinolat für sich alleine vollkommen harmlos ist. Erst die Myrosinase, ein Enzym, macht es gefährlich, denn es kann ihm die Wasserstoffatome einverleiben.
Zu Friedenszeiten werden beide Chemikalien in getrennten Behältern gelagert und kommen niemals miteinander in Berührung. Sobald jedoch ein paar Zähne oder Mandibeln die Zellen auseinanderreissen, platzen die Behälter und die chemische Reaktion nimmt ihren Lauf. In wenigen Sekunden verwandelt sich das Glucosinolat mit Hilfe der Myrosinase in Senföl. Es ist der allseits bekannte Scharfmacher von Senf, Radieschen, Meerrettich, Wasabi und den verschiedenen Kressearten. Ihr System der Kampfstoffproduktion ist so einzigartig, dass die Forscher es mit einem eigenen Namen beehrt haben: die «Senfölbombe».

Donnerstag, 5. Juli 2012

Die Pflanzenwürgerin

Immer von rechts nach links schlängelt
sich die Winde um andere Pflanzen.
Juli ist der Monat der Ackerwinde. Bei Leuten, die gartenfernen Berufszweigen angehören, löst der Name Bilder von wunderschönen weissen bis rosaroten Blumen aus, die bevorzugt Wegränder und Zäune zieren. Alle Bauern und Gärtner jedoch trifft auf der Stelle das blanke Entsetzen. Für sie ist die Ackerwinde Teufelswerk. Weltweit steht sie auf Platz 12 der schlimmsten Unkräuter.
Ihre Triebe kriechen erst über den Boden und wenn sie an den Stängel einer anderen Pflanze stossen, winden sie sich an ihm im Gegenuhrzeigersinn wie eine Schlange hoch. Das sieht auf den ersten Blick harmlos aus, doch sobald die Triebspitze oben angekommen ist, pumpt sie ihre bis anhin winzigen Blätter mit Wasser voll und lässt sie so auf die Grösse von Esslöffeln anschwellen. Die Trägerpflanze verschwindet vollständig und wird während der besten Zeit des Jahres zu einem Leben im ewigen Schatten verdammt. Zu allem Übel entzieht die Winde dem Boden auch noch die Nährstoffe, so dass für alle anderen Pflanzen ringsum magere Zeiten anbrechen.
Der Effekt dieser Strategie auf Ackerkulturen ist verheerend. Ein Weizenfeld mit Windenbefall kann eine Ertragseinbusse von bis zu 75 Prozent erleiden. Für den Landwirt kommt das einem Ernteausfall gleich. Kein Wunder versuchen sie das Unkraut mit allen Mitteln zu bekämpfen. Bis heute gibt es jedoch keine zuverlässige Methode. Ausreissen nützt nur vorübergehend etwas, denn das Wurzelsystem einer einzelnen Winde kann sechs Meter im Durchmesser betragen und neun Meter tief in den Boden reichen. Aus demselben Grund treiben die Pflanzen auch nach jahrelangem Herbizideinsatz immer wieder von neuem aus.
Am Ende breitet sie ihre Blätter aus
und beansprucht das Sonnenlicht
allein für sich.
Aber die Ackerwinde war uns Menschen nicht immer verhasst. Die Alten Griechen verwendeten ihre Blätter zur Wundheilung und gegen innere Blutungen. Im 18. Jahrhundert wurde sie zur Fiebersenkung verschrieben und noch im 20. Jahrhundert verfütterte man auf Sizilien Windenblätter an Hasen, die unter Appetitlosigkeit litten. Sogar die Indianer Nordamerikas haben die von Europa stammende Pflanze als Mittel gegen Spinnenbisse in ihre traditionelle Medizin aufgenommen.
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