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Samstag, 26. Februar 2011

Die zweite Haut

Wo kein Gras wächst, da bedeckt Moos
meinen Garten.
Unser Rasen hat seit 50 Jahren keinen Krümel Dünger erhalten. Schlimmer noch, durch das regelmässige Rasenmähen entziehe ich dem Boden ständig Nährstoffe und lasse ihn so Phosphor, Kali und Stickstoff bluten. Die Gräser finden das nicht so toll und haben sich daher auf die wirklich sonnigen Abschnitte beschränkt. Dort sind sie noch Herrscher über den Garten. Aber wo die Bedingungen auch nur ein wenig düsterer sind, da siechen sie dahin.
Das ist gefährlich, denn wo die Pflanzendecke fehlt, ist der Boden ungeschützt der Erosion durch Wasser und Wind ausgeliefert. Schliesslich bildet sich eine karge Wüste und ich muss meine Würstchen im Sommer zwischen Sanddünen grillieren.
Zum Glück hat die Natur längst vorgesorgt. Überall dort, wo Wasser, Nährstoffe oder Licht nur ungenügend vorhanden sind, überzieht eine Ersatzhaut den kargen Boden. Sie besteht aus ganz einfachen Pflanzen, die schon vor den Dinosauriern die Erde mit Leben erfüllten. Es sind die Algen, die Flechten und die Moose. Sie bilden eine Art Selbstschutz für den Boden, der immer dann zu spriessen beginnt, wenn sich die höher entwickelte Vegetation wie Gänseblümchen oder Klee aus irgendeinem Grund verabschiedet.
So sorgt die Natur dafür, dass die wertvollste Ressource der Welt – der Boden – immer vor Erosion geschützt ist. Moose, Algen und Flechten halten die losen Erdkrümel zusammen, speichern Wasser und bilden ein Mikro-Ökosystem, in dem sich winzige Tiere wie Springschwänze, Milben und Pseudoskorpione tummeln.
Biologen nennen diese zweite Haut der Erde «biologische Kruste». Sie bedeckt rund ein Drittel der globalen Landmasse. Man findet sie in den Polregionen, in Wüsten, im Hochgebirge oder in ungedüngten Gärten gleich hinter dem Haus.
Für die Menschen sind Krusten noch aus zwei weiteren Gründen von Bedeutung. Erstens sind sie hervorragende Schuhabtreter, die sich immer wieder selbst reinigen. Und zweitens binden sie einen Teil unseres jährlichen CO2-Ausstosses und lagern ihn als Kohlenstoff im Boden ein. Auf diese Weise wirken sie der Klimaerwärmung entgegen.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Der Geist aus dem Blumentopf

In der Dunkelheit der Garage spriessen bei
meiner Avocado neue Blätter.
In meiner dunklen Garage gleich neben der unglücklichen Aloe vera steht eine Pflanze, die offenbar alles andere als traurig darüber ist, dass sie vorübergehen eingekerkert wurde: die Avocado. Sie habe ich letzten Sommer aus einem Samen gezogen und jetzt beginnt sie aus einem undefinierbaren Grund einen neuen Satz junger Blätter auszutreiben. Offenbar besitzt sie ein verborgenes Energiereservoir, oder dann ist sie einfach eine beharrliche Optimistin, die auch in der dunkelsten Stunde ihres Daseins auf neues Leben und auf baldiges Sonnenlicht hofft.
Die Maya-Mythologie liefert aber noch eine andere Erklärung: Einer meiner verstorbenen Vorfahren wurde als Avocado wiedergeboren und versucht mich nun davon abzubringen, dass ich ihn auf den Komposthaufen werfe. Genau das pflege ich nämlich mit kränkelnden Pflanzen zu tun. Und die Avocado sieht mit ihren fleckigen Blättern nicht gerade gesund aus. Dass ich ihr in der ohnehin schon überfüllten Garage ein Winterquartier gab, ist reine Neugier meinerseits. Ist es möglich, diese subtropische Pflanze auf so eine brachiale Art und Weise über den Winter zu bringen? Jetzt weiss ich, dass die Antwort «ja» lautet. Das Experiment war erfolgreich. Vielleicht nur dank des Geistes aus dem Blumentopf, der mir mit seinem neuen Blätterkranz sagen möchte: «Hallo Atlant, hier spricht dein Grossvater. Ich hätte ab März bitte wieder einen Platz an der Sonne. Also komm nicht auf dumme Gedanken.» Vor dreitausend Jahren wäre ich mit dieser Erklärung durchgekommen. Die Mayas glaubten, dass in Fruchtbäumen ihre verstorbenen Verwandten wiedergeboren werden. Darum pflanzten sie unter anderem Avocados in ihre Gärten, damit die Familie wieder beisammen sein konnte.
Heute werden Avocados jedoch aus ganz anderen Gründen angebaut. Die Frucht ist ein Exportschlager. Zweieinhalb Millionen Tonnen werden weltweit pro Jahr produziert. Das ist zwar weniger als die Hälfte der Apfelproduktion, aber wenn man das Gewicht in Kilokalorien umrechnet, dann liefern die Avocados der Menschheit mit Fünfeinhalb Billionen Kilokalorien doppelt so viel Energie wie die Äpfel.

Mittwoch, 9. Februar 2011

Tod im Backofen

Ohne Hefe, kein Brot. Trotzdem scheinen wir nicht viel
übrig zu haben für die kleinen Pilze.
In unserer Küche steht eine silbergraue Metallbox etwa von der Grösse einer Zigarrenkiste. Darin befindet sich alles, was man neben Eier, Butter und Mehl sonst noch zum Backen braucht: Rum-Aroma, Vanillin-Zucker, Backpulver, zwei Röhrchen mit Vanilleschoten, Zimtpulver und natürlich Trockenhefe. Bei letzterer bin ich kürzlich ins Grübeln gekommen, denn sie besteht nicht wie Zimtpulver aus totem Pflanzenmaterial, sondern aus lebenden Pilzen.
Allerdings sind sie in einer Art Tiefschlaf. In einem technischen Verfahren wurden Millionen von ihnen zu kleinen Würstchen gepresst, getrocknet und dann in Briefchen zu sieben Gramm abgefüllt. Wenn man es schüttelt, tönt es nach Plastic oder Salz. Aber da drin ist geballtes Leben. Die Inhaltsangabe auf der Rückseite bestätigt es: «Zutaten: Trockenhefe Saccharomyces cerevisiae».
Nie ist mir in meinen eigenen vier Wänden ein Lebewesen begegnet, das der Mensch so vollkommen für seine Zwecke instrumentalisiert hat. Ich meine, die Rosen in meiner Rabatte sind alles andere als pflegeleicht. Die muss man mit der richtigen Menge Dünger gütig stimmen, muss ihnen den Boden lockern, ihre empfindlichen Zweige mit Pflanzenschnur umgarnen, nur damit sie nach langen Monaten erblühen und wir sie endlich so haben, wie wir sie wollen.
Aber Trockenhefe reisst man einfach auf, schüttet sie ins Mehl, fügt Wasser hinzu und das war’s. Da muss ich nicht erst Unkraut jäten gehen, bis ich Schwielen an den Händen habe, damit etwas läuft. Nein – an der Hefe hat die Menschheit ein Exempel statuiert. Es ist die vollkommene Unterwerfung einer Art, die perfekte Planung jedes Atemzugs eines Lebewesens, die Hausfrauentauglichmachung eines Stücks Biodiversität.
Das Schlimmste dabei ist, wie respektlos wir die Hefe behandeln. Die kleinen Pilze lieben Zucker. Aber wir wissen nichts Besseres zu tun, als sie in eine Schüssel voller Weizenstärke (Mehl) zu werfen. Wie sie das nerven muss! Statt gleich mit Fressen beginnen zu können, müssen sie die Stärke erst mühsam mit Hilfe von Enzymen in Zucker aufbrechen.
Den Zucker verdauen sie und scheiden als Abfallprodukte Alkohol und Kohlendioxid aus (dasselbe passiert auch beim Bierbrauen). Das Gas – man könnte sagen die Fürze der Hefe – machen den Teig schön luftig und locker. Und unser ganzer Dank besteht darin, dass wir das Rad am Backofen auf 200 Grad drehen und die kleinen Helfer in den Massentod schicken.

Mittwoch, 2. Februar 2011

Aus einem Haufen Dreck

Die Maulwürfe in meinem Garten bringen die wertvollste
Ressource der Erde ans Licht: Boden.
So sieht mein schlimmster Albtraum aus:
Ich klaube ein Zweifrankenstück aus der Brieftasche, schiebe es in den Schlitz am Einkaufswagen und fahr los. Ich setzte Kurs auf den Salat. Er steht als erstes auf meiner Liste. Ein absolutes Muss. Salat ist knackig, er ist Frühling, Sommer, Herbst und Winter in einem. Er hat etwas Frisches und Leichtes. Beim Kopfsalat strecke ich meine Hand aus, lege die Finger um das kühle, taufrische Grün und – er bewegt sich nicht. Er ist wie festgewachsen am Gestell und rückt keinen Millimeter. Beim nächsten geht es mir genau so und auch beim übernächsten. Ich probiere alle Köpfe durch und schaue mich dann hilflos nach einem Mitarbeiter um. Zu meinem Schrecken steht einer gerade hinter mir und lacht. «Haben Sie das Schild nicht gelesen?», sagt er. «Welches Schild?» Sein Finger zeigt nach oben. Über der Theke steht geschrieben: «Geschätzte Kunden, ab heute haben wir das Gewicht unserer Produkte angepasst. Neu wiegen sie so viel, wie der Boden, den sie benötigen, um zu wachsen. Wir danken für Ihr Verständnis.»
Mein Gehirn beginnt zu rechnen: Kopfsalate gedeihen in einem Abstand von 30 Zentimeter zu einander. Das heisst, jeder hat etwa eine Fläche von zwei Quadratdezimeter zur Verfügung. Darunter erstreckt sich der Boden bis in eine Tiefe von zwei Metern. Das macht 45 Kilogramm Boden pro Salat. Oh je. Mit aller Kraft hieve ich schliesslich zwei in den Einkaufswagen. Dann weiter zur Milch.
Die wird wohl nicht so schwer sein. Aber als ich die Literflasche vom Stapel nehme, breche ich mir fast den Arm. Die Flasche fällt runter und zerplatzt. Reihum treffen mich entsetzte Blicke. Eine Kuh benötigt für jeden Liter Milch, der aus ihrem Euter sprudelt, dreieinhalb  Kilo Gras – so viel wie auf 1,4 Quadratmeter Wiesland wachsen. Das macht rund drei Tonnen Boden. Ich blicke auf die Milchflasche und denke, dass sie mir sowieso schwer im Magen gelegen hätte.
Als ich bezahle, schaut mich die Kassiererin fragend an. «Sie sind wohl auf Diät.» Das Förderband quietscht unter den 90 Kilogramm Salat. Wehmütig denke ich an den Bergkäse, das Mangojoghurt und den Parmaschinken, die ich Mangels Bizeps zurücklassen musste. Unten in der Garage reissen die Tragriemen der Papiertüte und die Salate purzeln auf den Boden. In der Küche beim Rüsten verbiegt sich Theke und beim Anrichten zerspringt der Teller. Als ich die erste Gabel voll nehme, kriege ich den Mund nur mit Mühe zu und danach habe ich das Gefühl, einen Elefanten verschluckt zu haben. 

Aber eben, das ist zum Glück nur mein schlimmster Alptraum. Vom Gewicht des Bodens kriegen wir in der realen Welt nichts mit. Wir kaufen mit Leichtigkeit ein, ohne einen Gedanken an die wichtigste Ressource dieser Welt zu verschwenden.
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