Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Frühlingserwachen unter der Erde

In der feuchten Erde sputen sich
die Bärlauch-Zehen, ihre
Blätter an die Sonne zu kriegen.
Im Garten liegt der Schnee immer noch dreissig Zentimeter tief. Doch unter dem Eis hat der Frühling bereits begonnen. Als ich mich mit einem Spaten durch den Winter grabe und in den flachgedrückten Rasen steche, fühlt sich der Boden weich an. In der braunen Scholle treffe ich auf unzählige längliche Zehen. An ihrem oberen Ende wächst ein Spross, der sich einen Weg durch die dunkle Erde nach oben ans Licht bahnt. Es wird sicher keine zwei Wochen mehr dauern, bis mehrere Tausend dieser Triebspitzen meinen Rasen von unten durchlöchern.
Der Bärlauch ist erwacht. Er kommt früher in die Gänge als alle anderen Pflanzen des Gartens. Nicht ohne Absicht, versteht sich. Würde er nämlich erst im Mai oder Juni aus dem Boden gekrochen kommen, wäre die Situation aussichtslos für ihn. Alle anderen Pflanzen haben dann bereits ihre Blätter entfaltet und sind in die Höhe geschossen. Der kleine Bärlauch würde im Schatten seiner Nachbarn verkümmern.
Als Frühaufsteher hat er jedoch gute Karten. Bald werden sich seine Blätter entfalten und ihm einen exklusiven Platz an der Sonne sichern. Währenddessen verschläft seine Konkurrenz den Vorfrühling komplett. Dem Löwenzahn zum Beispiel ist es unter dem Schnee nicht ums Wachsen. Dazu braucht er Sonne und Wärme. Doch beides ist im Augenblick noch Mangelware. Anders der Holunderstrauch. Er hat es einfach nicht nötig, sich zu beeilen. Dank seiner Grösse und Schnellwüchsigkeit überflügelt er die meisten anderen Pflanzen des Gartens. Mit dem Öffnen seiner Knospen kann er sich also Zeit lassen.
Zeit – das ist das Schlüsselprinzip für den Erfolg des Bärlauchs. Woher weiss er, wann die richtige Zeit gekommen ist, um eine Handbreit unter der Erde mit wachsen zu beginnen? Die Antwort ist: Er weiss es nicht. Er muss es nicht wissen, weil er selbst die Zeit ist. Im Erbgut jeder Pflanze gibt es Gene, die wie eine innere Uhr funktionieren. Sie sagen den Zellen, wann der Frühling vor der Tür steht und wann sie beginnen müssen, sich zu teilen. Dabei sind die Uhren aller Bärlauch-Zehen im Garten miteinander synchronisiert. Egal wo im Garten ich grabe, überall sind die Sprosse rund einen Zentimeter lang. So nimmt in der Stille der letzten Wintertage eine lautlose und unsichtbare Mobilmachung ihren Lauf.

Sonntag, 21. Februar 2010

Jeder Garten ist eine Insel

Im Garten gibt es mehr Arten, als man
auf den ersten Blick sieht. Spuren im Schnee
sind verräterische Hinweise.
Die Spuren im Schnee haben Katze und Fuchs verraten. Dort wo im Sommer der Kräutergarten wächst, haben sie zusammen in den letzten paar Tagen zwei Dutzend Fährten hinterlassen. Ein richtiges Chaos an Pfoten- und Tatzenabdrücken. Sie illustrieren sehr deutlich dass es auf jedem Fleck Erde und in jeder Parzelle mehr Arten gibt, als man auf den ersten Blick sieht. Warum? Weil sich Tier- und Pflanzenarten immerzu bewegen.
Der Fuchs kommt vielleicht nur einmal pro Tag, um seine Runde im Kräutergarten zu drehen. Vielleicht ist das um 06.00 Uhr am Morgen oder um 23.00 Uhr in der Nacht. Doch der Biologe, der die Artenvielfalt in meinem Garten erfassen möchte, ist leider nur zwischen 15.00 und 16.00 Uhr anwesend. Der Fuchs taucht in seinem Bericht nicht auf. Das gleiche gilt für Pflanzen. Die Samen von Wiesenblumen können Jahre im Boden schlummern, ohne dass man die Pflanzen je zu Gesicht bekommen würde. Und plötzlich, wenn alle Umweltbedingungen perfekt sind, keimen sie und zeigen sich der Welt.

Fuchs und Katze brauchen kein
Treibgut, um in den Garten zu
gelangen. Eine Lücke in der
Hecke reicht.
Noch extremer ist das Beispiel der Waldföhre. In meinem Garten gibt es jetzt noch genau ein Exemplar. Wird es vom Blitz getroffen oder vom Gärtner gefällt, ist die Art im Mikrokosmos meines Gartens ausgestorben. Das heisst jedoch nicht, dass ich die Föhre deswegen unter Schutz stellen müsste. Denn ich kann mich darauf verlassen, dass vom nahen Wald irgendwann ein Samen herüberweht und in einigen Jahren zu einem neuen stattlichen Baum heranwächst.
Dass Arten in einem Gebiet plötzlich auftauchen und ebenso plötzlich wieder verschwinden, haben Forscher zuerst auf Inseln beobachtet. In den 60er Jahren haben die beiden Biologen Edward O. Wilson und Robert MacArthur daraus die «Theorie der Inselbiogeographie» formuliert.
Demnach gibt es auf jeder Insel eine ideale Anzahl von Arten. Einige von ihnen können lokal aussterben (wie meine Föhre) andere können neu hinzukommen (wie der Fuchs), etwa indem sie auf einem Stück Treibgut an den Strand geschwemmt werden. Langfristig stellt sich so ein Gleichgewicht zwischen Ankunft und Abreise ein.
Viele Biologen liessen sich von diesem Prinzip schon an der Nase herumführen. Die Riesen-Rappenantilope in Angola etwa ist eine sehr scheue Art. 1982 hat man sie zuletzt gesehen. Danach galt sie als ausgestorben. Doch Jahrzehnte später findet ein deutscher Forscher frischen Antilopen-Kot, der nach genetischen Analysen eindeutig von der Riesen-Rappenantilope stammte. Sie ist also immer noch unter uns – die Frage ist nur wo und wann.

Mehr zu unausgestorbenen Arten

Samstag, 13. Februar 2010

Ehen mit Scheidungsrate null

An der Gartenmauer steht es geschrieben: Zu zweit
kommt man weiter als alleine.
Vor einigen Tagen nahmen wir am Geburtsvorbereitungskurs teil. Wir waren eines von zehn Pärchen. Mir kam andauernd die Statistik in den Sinn, wonach sich bis in einigen Jahren rund die Hälfte aller Paare trennen. Und das obwohl sie nunmehr einen guten Grund hätten, zusammenzubleiben. Doch der Mensch ist eben eine Spezies, die aus Individualisten besteht. Alles, was man zu zweit machen kann, lässt sich im 21. Jahrhundert auch alleine verwirklichen. Sogar das Kinderkriegen.
Doch in der Natur ist der Einzelkämpfer die Ausnahme. Denn damit die Artenvielfalt funktioniert, braucht es enge und verlässliche Beziehungen innerhalb von Arten und zwischen ihnen. Das eindrücklichste Beispiel dazu wächst an der Mauer neben meiner Einfahrt. Es sind die Flechten. Zugegeben, auf den ersten Blick sind sie etwas unscheinbar. Doch sie enthalten ein Geheimnis. Es ist die Anleitung, wie man eine halbe Milliarde Jahre lang auf dieser Welt überlebt.
Flechten gehörten zu den ersten Land bewohnenden Lebewesen der Erde. Die Wissenschaftler rätseln noch heute darüber, wie genau sie entstanden sind. Es war vielleicht ein ruhiger Samstagabend wie dieser. Auf einem Stein in der Nähe der Küste krallte sich vor 400 Millionen Jahren eine Gruppe einzelliger Algen fest. Sie fanden gerade genug Nährstoffe, um zu überleben. Aber es ging ihnen nicht besonders gut. Jedenfalls nicht gut genug für einen Samstagabend.
Doch dann kam plötzlich eine Pilzspore angeflogen und landete mitten in den Algen. Nun, Pilze denken in der Regel immer zuerst an das Fressen. Doch bei diesem war es anders. Aus irgendeinem Grund folgte er nicht seinem urtümlichen Instinkt. Statt sich über die Algen herzumachen, baute er ein Haus für sie. Seine Pilzfäden wuchsen zu ledrigen Schichten heran. Zwischen ihnen betteten sich die Algen.
Heute haben es die Flechten dank ihres Erfolgsrezepts
auf 25 000 Arten gebracht.
Der Pilz schloss einen Pakt mit ihnen. Sie sollten ihm etwas von ihrem Zucker abgeben, den sie bei der Photosynthese produzierten. Im Gegenzug würde er mithilfe spezieller Säuren, die Oberfläche des Steins aufweichen und einige der freiwerdenden Mineralstoffe an die Algen abtreten. Diese nahmen das Angebot an, denn sie benötigten dingend etwas Dünger, um sich gesund zu entwickeln. So entstand eine enge Symbiose zwischen zwei ganz verschiedenen Arten. Die Flechten waren geboren und der Samstagabend gerettet.
Seit dieser längst vergangenen Zeit sind sich Pilz und Algen treu geblieben. Sie haben die Ehe zu ihrem ganz persönlichen Erfolgsrezept gemacht. Heute gibt es auf der ganzen Welt 25 000 Flechtenarten. Dank der engen Kooperation können sie an Orten überleben, wo es sonst keine Pflanze und kein Tier lange aushält: an den komplett glatten Felswänden des Hochgebirges, auf sonnenverbrannten Pflastersteinen und selbst in der ewigen Kälte der Antarktis. Vielleicht wäre es ein hübscher Brauch, einem frisch verheirateten Paar, einen Stein mit einer Flechte darauf zu schenken. Will heissen: zu zweit kommt man weiter.

Samstag, 6. Februar 2010

Überschwemmung im Bett

Wehmütig scheint der kleine Feuersalamander auf
seinen Winterschlafplatz zu blicken, der im
Schmelzwasser versunken ist.
Die Feuersalamander im Lüftungsschacht kämpfen mit den warmen Temperaturen. Diese lassen den Schnee im Garten schmelzen und das Wasser läuft den Schacht hinunter genau in die Vertiefung, wo die Amphibien ihren Winterschlaf halten. Das passt ihnen natürlich nicht. Sie müssen sich aufraffen und sich auf höher gelegenes Gelände schleppen. Dort warten sie jetzt bis die Temperaturen wieder fallen und der kleine See in ihrer Schlaffstelle versickert ist.
Für mich als Beobachter hat das kleine Unglück eine gute Seite. Denn erst jetzt kommt die gelbe Zeichnung auf ihrer Haut wirklich zur Geltung. Unter einem dünnen Film von Feuchtigkeit leuchtet die Flecken wie Flammen, die sich auf dem Boden des Schachts entzündet haben.
Obwohl so viel Wasser im Augenblick etwas lästig erscheint, sind die Tiere nun in ihrem Element. Sie lieben Orte, an denen sich Wasser und Land durchmischen. Feuersalamander sind Halbwesen zwischen Fisch und Reptil. Halb gehören sie ins Wasser, halb bevorzugen sie das Land. Ihre gespaltene Persönlichkeit zeigt sich bei der Geburt ihrer Jungen. Diese sehen schon beinahe aus wie ihre Eltern, doch links und rechts von ihrem Kopf besitzen sie Kiemen, die es ihnen erlauben, unter Wasser zu atmen. Erst wenn sie älter werden, entwickeln sich ihre Lungen und die Kiemen bilden sich zurück. Als ausgewachsene Tiere verlassen sie ihren Bach und kehren nur noch zu ihm zurück, wenn sie eines Tages selbst Junge gebären.
In den Hautfalten steigt das Wasser durch die
Kapillarkraft nach oben. So vereilt es sich auf dem
ganzen Körper.
Trotzdem brauchen sie das Wasser wie wir die Luft zum Atmen. Ihre Haut ist so dünn, dass sie schnell austrocknet. Darum verbringen sie die meiste Zeit ihres Lebens unter Asthaufen, im Unterholz und in verrottenden Wurzelstöcken – überall dort, wo es schön feucht ist. Für die gleichmässige Benetzung ihres Körpers wenden sie einen Trick an. Sie schmiegen sich eng an den Boden und lassen die Feuchtigkeit in ihren Hautfalten durch die Kapillarkraft aufsteigen. Das ist eine ähnliche Methode, wie sie Pflanzen anwenden, um Wasser durch ihr feines Röhrensystem bis in die obersten Blätter zu transportieren.
Doch alle Tricks der Welt genügen ihnen nicht, um mit den Umweltveränderungen in der Schweiz fertig zu werden. 90 Prozent der ehemaligen Schweizer Feuchtgebiete sind trockengelegt. Eine Landschaft, die einst aus einem Gemenge zwischen Wasser und Festland bestanden hat, ist heute aus Sicht eines Salamanders zur Trockenwüste geworden. Tümpel, Sümpfe, Wassergräben und überschwemmte Ebenen sind den Kuhwiesen und Strassen gewichen. Ihre Umwelt hat sich in einem Jahrhundert mehr verändert als in den zehntausend Jahren davor. Da können sie nicht mithalten. Darum haben die Feuersalamander heute einen Ehrenplatz auf der Roten Liste der gefährdeten Arten der Schweiz.
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